Gastbeitrag
Von Honest John, 28.02.2024
The Honest John Blog
Wir feiern den 50. Jahrestag von Bob Marleys „Natty Dread“ 1974
Part 1
Meiner bescheidenen Meinung nach ist „Natty Dread“ Bob Marleys bestes Album, die ultimative Reggae-Aufnahme aller Zeiten. Eine Umfrage des „Time Magazine“ aus dem Jahr 1998 wählte Bob Marleys „Exodus“ zum „Album des Jahrhunderts“ und keins von Jimi Hendrix, den Beatles oder den Rolling Stones, wie man vielleicht hätte erwarten können.
Es gibt ein paar Dinge, die ich erwähnen möchte, bevor ich mit der Rezension des „Natty Dread“-Albums beginne: Als das Album 1974 herauskam, gab es Reggae erst seit etwa sechs Jahren und viele Leute wussten nicht einmal, dass er existierte.
In England kannten wir nur Millie Small, die vor allem für ihre Blue-Beat/Ska-Coverversion von „My Boy Lollipop“ aus dem Jahr 1964 bekannt war.
1970 erreichte eine Coverversion von Nina Simones „To Be Young, Gifted and Black“ von Bob Andy und Marcia Griffiths Platz 5 der britischen Single-Charts. Zwischen 1974 und 1981 wurde Marcia schließlich Mitglied der „I Threes“ (Rita Marley, Judy Mowatt, Marcia Griffiths). Dieses Trio von Backgroundsängern unterstützte Bob Marley & the Wailers.
Ein anderes Lied, an das ich mich gut erinnern kann, war „I Can See Clearly Now“ von Johnny Nash, einem Amerikaner und das Lied kam 1972 heraus.
Damit komme ich nun zu der betreffenden Platte, die ich vorstellen möchte, indem ich jeden Titel einzeln durchgehe. Wenn „Natty Dread“, veröffentlicht im November 1974, allgemein als die wichtigste von Marleys Aufnahmen gilt, dann muss der Eröffnungstrack „Lively Up Yourself“ logischerweise zu seinen besten individuellen Darbietungen gezählt werden. Unvergesslich sind die drängenden, eindringlichen Eröffnungszeilen von dem Bassisten Aston Barrett, die von Marleys wildem „Jaulen“, das keine menschlichen Züge trägt, unterbrochen werden.
Der erste Track ist ein hervorragendes Beispiel und dient als sanfte Hymne für Reggae und – wer‘s glaubt oder nicht – auch für Prostituierte, jedoch mit einem leichten religiösen Unterton. Es bringt eine leicht bluesige Atmosphäre mit sich, unterstreicht die Bedeutung der Rhythmusgruppe und insbesondere des fabelhaften Aston Barrett für die Musik und stellt Al Anderson und seine präzisen Gitarrenriffs bestmöglich vor. Diese entspannten Momente, frei von allen Spannungen und dennoch nicht nachlassend von religiösen und politischen Kommentaren, verleihen dem Track einen tollen Flow und wagen den Eindruck zu erwecken, dass die Band bei den Aufnahmen auffallend viel Spaß hatte. Manchmal wirkt Marley immer noch ein wenig zweifelnd, fast unsicher, wie er dieses Lied unvergesslich machen kann. Aber er weiß, dass ihn sein natürlicher Fluss, sobald er in Fahrt kommt, durchbringen wird, und deshalb hat er nichts zu befürchten.
Wie ich bereits sagte, ist der Titeltrack ein guter Opener. Die Unterstützung der Basslinie mit dem Gesang der großartigen I-Threes und einer starken Bläsersektion war eine brillante Idee. Reggae begann nun anders zu klingen. Andererseits hat diese Brillanz auch etwas Belastendes: Die Bläser klangen etwas zu trocken und gezwungen und überschatteten den Rest der Band in ihrer allgegenwärtigen Präsenz, doch die Bläser machten ihre Ausstrahlungskraft auf eine andere Art und Weise spürbar. Es ist zunächst gewöhnungsbedürftig, aber es ist der zukünftige Sound des Reggae und er dominiert auch heute noch. Sogar in den Momenten, in denen Marleys Entscheidungen ein wenig Unbehagen bereiten, gelingt es der Band, sich auf unterhaltsame Weise zu präsentieren, ebenso wie bei dem langen und eintönigen „Rebel Music“.
Zwei Jahrzehnte, bevor „abgeschlossene“ Wohnanlagen selbst in bürgerlichen Gemeinden zur Norm wurden, brachte Marleys „Rebel Music (3 o‘clock Road Block) die Realität von Überwachung und Angst in der modernen Gesellschaft deutlich zum Ausdruck.
Die Lieder sind trotzig und mutig und haben bewiesen, dass Marley keine Angst davor hatte, zu sagen, was er wollte. Diese Worte lassen einen aufhorchen und fordern gesellschaftliche und politische Veränderungen. Militante Musik, die so trotzig dargeboten wird, dass sie die Welt bis ins Innerste, aufs Äußerste erschüttert .
„Road Block“ ist mit seinem herrlich sinnlichen Rhythmus und dem Sound des Delta-Blues ein großartiger Dance-Track. „Belly Full“ ist ein weiterer Erfolg. Aber bei „Revolution“ fehlt letztendlich die Überzeugungskraft, um die Botschaft zu verdeutlichen.
Wörter wie „Blitz, Donner, Schwefel und Feuer“ verpuffen ohne Wirkung. Der Schrecken, den sie auslösen sollen, stellt sich nie ein. „Talking Blues“ ist besser, aber weniger effektiv, als es hätte sein können. „Lively Up Yourself“ hat ein großartiges Riff und ergreifende bluesige Gitarrenphrasen, die Anzeichen eines Rock-Einflusses auf Marley zeigen. Die beste Tanznummer ist „Natty Dread“, ein echter Erfolg aufgrund der irdischen Einfachheit und des sich wiederholenden Refrains. Überraschenderweise bevorzuge ich das neue „Love“-Lied „No Woman No Cry“ im Vergleich zur neuen Version des alten Liedes „Bend Down Low.“ Marley zeigt beim Singen echte Empathie, Verständnis und Zärtlichkeit: „Liebling, vergieße keine Tränen/keine Frau, kein Schrei …“ Leider war „So Jah Seh“ keine gute Wahl für die Single, die daraus wurde. Es hätte entweder „Natty Dread“ oder „No Woman No Cry“ heißen sollen. Dieses Album bietet eine gute Balance zwischen der traditionell erdigen Musik der Wailers und den Einflüssen von Rock und Pop. Es ist aggressiv, nüchtern und ernst. Oft ist es eine bedrohliche und lyrische Kraft aus Harmonie, Melodie und Rhythmus. Mit der Veröffentlichung von „Natty Dread“ trat die populäre Rockmusik in die bombastische Disco-Ära ein, deren lyrische und musikalische Kraft besonders auffällig ist. Marley nahm Diskriminierung, Gier, Armut und Obdachlosigkeit auf sich und sammelte gleichzeitig seine Followers um sich, wie es damals in den 70ern und bis heute kein anderer Musiker geschafft hat.
Bob Marleys Leben war nicht einfach, sondern äußerst kompliziert. Ich empfehle allen, die wirklich an seinem Leben interessiert sind und erfahren wollen, was Bob Marley durchmachen musste, es selbst herauszufinden, um sich ein eigenes Bild von dieser beeindruckenden Persönlichkeit zu machen. Ich bin sicher, dass vieles, was man erfährt, überraschen, aber auch entsetzen wird.
Lesetipp:
Bob Marley. Songs of Freedom Boot, Adrian; Salewicz, ChrisI
ISBN: 3453087054,
Heyne Verlag
The Tracks:
1. Lively Up Yourself
2. No Woman No Cry
3. Them Belly Full
4. Rebel Music
5. So Jah Seh
6. Natty Dread
7. Bend Down Low
8. Talkin‘ Blues
9. Revolution
(Honest John, Februar 2024)