Gastbeitrag
Von Honest John, 24.04.2024
The Honest John Blog ...
Wie der Einfluss von Bob Marley unsere Meinung über Rastas verändert hat
(Part 3)
In den 1970er Jahren besuchte Marley einige Male Großbritannien und lebte an verschiedenen Orten in London – zum Beispiel in Bayswater und Chelsea. Zahlreiche Häuser, in denen er zu Gast war, sind heute mit blauen Gedenktafeln versehen und ziehen täglich Hunderte von Besuchern an. An einem Sonntag in den Siebzigern sah ich in der Nähe des Battersea Parks viele Rastas auf dem Weg zu den nahegelegenen Fußballplätzen. Es hatte sich herumgesprochen, dass Marley dort trainieren würde, also wollte jeder dabei sein. London war seine zweite Heimat geworden und er schrieb hier einige der besten Musikstücke, insbesondere nachdem er bei „Island Records“ unterschrieben hatte. Sein Stern stieg noch höher, als Eric Clapton 1975 eine Coverversion von „I Shot The Sheriff“ aufnahm. Mit diesem Song von Bob Marley erreichte Clapton den ersten Platz in den USA und den vierten in Deutschland. Leider machte Clapton all das Gute, das er mit dem Lied erzielt hatte, zunichte: Als er 1976 betrunken auf der Bühne in Birmingham schimpfte, lobte er Enoch Powell als den Politiker, der „Großbritannien daran hindern würde, eine schwarze Kolonie zu werden“ und beleidigte uns als verdammte Jamaikaner, die nicht hierher gehörten.
Von einem Mann, der mit seiner Version von „Sheriff“ die US-Charts angeführt hatte und Millionen Dollar damit verdient hatte, war das schockierend und inspirierte die Gründung von „Rock Against Racism“. Trotz des Rassismus in England war Jamaika für Bob Marley auch keine Option: Auf der Insel hatte man bereits einmal versucht, ihn zu ermorden, sodass er dort die ganze Zeit um sein Leben hätte bangen müssen.
Wenn Leute heutzutage von Jamaika sprechen, als wäre diese Insel ein Partyparadies, stört es mich sehr.
Jamaika hat eine bewegende Geschichte und es wäre schön, wenn man sich die Zeit nehmen würde, herauszufinden, wofür dieses Land eigentlich steht. Es gibt viele Ähnlichkeiten mit anderen Ländern, aber es existiert eben auch die Rasta-Kultur, die unglücklicherweise von einigen Menschen auf ganz Jamaika übertragen wird.
Es gibt viele Jamaikaner, die Marihuana nicht mögen, genauso wie hier, ob man das glauben will oder nicht. Es gibt in Jamaika eine sich stets sehr reserviert verhaltende Oberschicht - genau wie in allen verwestlichten Ländern der Welt. Bob Marley repräsentierte damals auf extreme Art und Weise die Gegenkultur auf Jamaika. Auf der Insel gab es viele Kämpfe zwischen den beiden wichtigsten politischen Parteien, der Jamaica Labor Party (JLP) und der People’s National Party (PNP). Bob wurde angeschossen, weil jemand ihn zum Schweigen bringen wollte. Vieles bleibt politisch gesehen im Unklaren, aber eine Sache steht fest: Marley versuchte, die Vorsitzenden beider Parteien zusammenzuführen, was ihm bei seinem „One Love Peace Concert“ 1978 gelang.
Der Höhepunkt des Konzerts bestand darin, dass er Michael Manley, (PNP) und Edward Seaga, (JLP) dazu brachte, sich live auf der Bühne vor einer riesigen Menschenmenge die Hände zu reichen. Aber das bedeutete noch lange nicht, dass ihn alle Jamaikaner lieben würden, und das war die traurige Wahrheit. Er wurde als Revolutionär angesehen und Politiker hassen so etwas, nicht wahr?
Nicht nur Marley erlebte die Brutalität auf Jamaika. Peter Tosh wurde überfallen und erschossen. Die Mutter des Freundes meiner Schwester Celestine war Peters Cousine, und so bekamen wir immer Neuigkeiten aus erster Hand. Wir konnten es nicht glauben, als wir die Nachricht bekamen, dass er tatsächlich erschossen worden war. Erst drei Tage später wurde diese Meldung in den Nachrichten bestätigt. Es gab und es gibt also eine Vielfalt von politischen und kulturellen Themen auf Jamaika. Es war und ist nicht alles Sonnenschein, Reggae, Regenbogen und Kräuter. Außerdem gibt es in Jamaika christliche Gruppen, und der Rasta-Glaube weicht vom Christentum ab, weil die Rastas glauben, dass der Kaiser aus Äthiopien die Wiederkunft Christi ist oder so etwas in der Art….
Für mich ist Rasta eher eine Lebensart als eine Religion. Es geht mehr um Gegenkultur und den Wunsch, akzeptiert zu werden und nicht vom Establishment beiseite geschoben zu werden. Die Geschichte der Rastafari in Jamaika ist sehr gewalttätig und tragisch. Sie waren in Jamaika tatsächlich geächtet, und in den 60er und 70er Jahren kam es beinahe zu einer Tötungswelle, die an einen Genozid denken lässt. Rastafari wurden von anderen Jamaikanern auf der Straße gejagt und getötet.
Einige frühe Rastas galten als Terroristen. Rebellionen und Aufstände gegen die imperialistische Regierung unterstützten ihre Sache auch nicht: Manches verursachte nur noch mehr Leid für die Arbeiterklasse Jamaikas.
Bob Marleys Gesicht wird für den Tourismus benutzt und der Slogan „Kommen Sie nach Jamaika und fühlen Sie sich wohl“ ist das, was die Urlaubsbroschüren erzählen. Aber gleichzeitig wurden Rastas in Jamaika immer mit weniger Respekt und auch weniger menschlich behandelt. Und es gab eine Zeit, die noch nicht allzu lange her ist, als ein blutiges Massaker angeordnet wurde, um sie loszuwerden. Jahrelang herrschte Feindseligkeit zwischen den Rastafaris und der britischen Kolonialregierung auf der Insel. Dieses Misstrauen dauerte auch nach der Unabhängigkeit von der britischen Herrschaft am 6. August 1962 an. Das politische Establishment befürchtete, dass die Rastafaris mächtig genug waren, die Regierung zu stürzen. Unter dem Vorwand des illegalen Cannabiskonsums wurden Menschen aus dieser Gruppe willkürlich geschlagen, eingesperrt und getötet.
Sogar Bob und Peter Tosh wurden wegen ihres Graskonsums und ihrer Kampagnen für ihre eigene jamaikanische Staatsbürgerschaft Opfer von Polizeibrutalität. Tosh wurde einmal von der Polizei so brutal zusammengeschlagen, dass er nur um Haaresbreite dem Tod entgangen ist. Alles spitzte sich zu, als ein Rastafari-Sympathisant bei einem Streit um Land von einem Grundstückseigentümer angeschossen und schwer verletzt wurde. Dieser Vorfall führte zum sogenannten „Coral Gardens“-Massaker von 1963. Bei den darauf folgenden, eskalierenden Zusammenstößen starben drei Rastas, drei weitere Zivilisten und zwei Polizisten, darunter auch die beiden, die den Streit angezettelt hatten. Auf Anordnung von Premierminister Alexander Bustamante wurden mehr als 150 Männer zusammengetrieben und verhaftet und eine starke Polizeieinheit wurde nach „Coral Gardens“ entsandt, um die Kontrolle über die Gegend zu übernehmen.
Warum ist Bob Marley kein Nationalheld Jamaikas, à la Marcus Garvey? Die Antwort ist ganz einfach: Es liegt an seinem Aussehen. Die jamaikanische Elite möchte der Welt niemanden mit Rasta-Aussehen als wichtig und normal präsentieren.
Leider muss ich meine Erinnerungen daran, wie es war, in den 70er Jahren im multikulturellen England aufzuwachsen, aus Platzgründen auf ein anderes Mal verschieben. Ich verspreche, dass ich versuchen werde, meine Geschichte vor Jahresende zu erzählen, denn ich bin mir ziemlich sicher, dass viele gerne hören würden, wie es war, schwarze und indische Skinheads als Freunde zu haben.
(Honest John, April 2024)