Page 34 - Demo
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Schwäbisch lernen.
„Kommschalt“ hatte die Cousine gesagt, die in Stuttgart Landwirtschaft studierte. Das hieß, ich sollte halt kommen und für die erste Zeit würde sie schon ein Quartier finden.
Da stand ich nun nach 9 Stunden Bahnfahrt aus Westfalen auf dem Bahnsteig in Stuttgart Hauptbahnhof. 10 Jahre nach Kriegsende hat- ten sie immer noch keine Dächer, es nieselte, alles war fremd um mich herum, eine Adresse für ein Privatzimmer hatte ich in der Tasche. Vor dem Bahnhofsgebäude ein Gewirr von Stra- ßenbahngleisen. Ich sah die richtige Tram kom- men, stieg ein. Dem Schaffner mit seiner Geld- katze sagte mein Nachbar so etwas wie „Gra- taus“, ich sagte „Hölderlinplatz“. Der Schaffner sagte „Grataus“. Ich wiederholte „Hölder- linplatz“, „I sags ja, Grataus“, er riss einen Fahr- schein vom Block, auf meinen verwunderten Blick erklärte er „Sie müsset net umsteige, ebe grataus“ Ach so, geradeaus, kapiert. So fing’s an.
Frau Wenzel im 2.Stock des ergrauten Mehr- familienhauses riss die Tür auf. „Ah, Sie send d‘r H‘r Hendig, kommet Sie“. Sie hatschte, grau und unscheinbar, durch den dunklen Wohnungsflur,
na dann... 09/2021
 Start in mein schwäbisches Abenteuer
öffnete eine Zimmertür und redete wie folgt: „Sell isch des Zimmer, Schlüssel hätt’s koi, sperret Sie halt der Kaschte zu. Der Kittel könnets do hen henge“, sie wies auf einen Kleiderhaken an der Wand. „Schuh putze em Bod, leget Sie e Papier drund’r. Jäde zwoite Woch isch kleine Kehrwoch, müssset Sie mit mache. Wenn Sie Froge hent, klopfet Sie halt an der Küch.“ Widerwillig ge- stand sie mir zu, im peinlich sauberen Bad mei- ne Hände zu waschen und die Toilette zu be- nutzen. Das konnte ja heiter werden.
Mutter hatte mir reichlich zu essen mitge- geben.MeineletztenwestfälischenAbendbrote verzehrte ich am wackligen Tisch mit Wachs- tuchdecke, mein Blick wanderte durch das sch- male Fenster auf dünne Bäume und leicht ver- rußte Nachbarhäuser, die Stadt hatte nachhal- tig gebrannt, hier am Hang war alles stehen geblieben, tröstlich. Am nächsten Morgen den kurzen Fußweg zum Sekretariat der FHS. Mit leerem Magen. Die Sekretärin gab mir mitleids- volle Tipps: „Drübe am Eck, der Bäck, da könnet Sie veschpern und drübe hinte isch der Barmher- zige Löffel, do gibt’s warm‘s Esse zu Middag“.
Mit meiner Bitte im Bäckerladen um ein Bröt- chen kam ich nicht weit, „Moinet Sie e Wasser- weck?“ in Gottes Namen, „Ja“. Es erwies sich als ein knuspriges Großbrötchen. Ich las „Südmilch Verkaufsstelle“ über der Theke. Kakao mag ich. „Bitte einen Kakao“. „I hennnureKallde“. Mir Wurscht, was das heißen sollte. Es bedeutete eine Halbliterflasche kalte Kakaomilch. Auf Gar- tenstühlen an einem Tischchen im Laden beides zu verzehren. Dies wurde zum Schlüsselerleb- nis. Künftig bestellte ich mir eine heiße Flasche Kakao und ein Wasserweck voraus. Es wurde mein schwäbisches Frühstück so um 10 Uhr zwischen zwei Klausuren oder Praktika oder Vorlesungen.
Wohin mittags? zum „Barmherzige Löfffel“ im katholischen Gemeindesaal. Für Minderbe-
























































































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