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Es geschah 1941
in E., einem märkischen Städtchen, ein kleines kurioses Ereignis in „großer Zeit“. E. lag und liegt immer noch am Rande Berlins. Die Hauptstadt, ihre politischen Aktivitäten, blieb fern, verborgen hinter weiten Kieferforsten und der gemächlich dahin fließenden mäandernden Spree. Zwar wa- ren Hakenkreuzfahnen auch hierher gelangt und ein paar braune Uniformen, wurde der Dornrös- chenschlaf an den verordneten Feiertagen von Marschmusik auf der Hauptstraße unterbrochen. Danach kehrte Ruhe ein, ein wenig Lärm aus dem Strandbad, das Rasseln des Reichspost-Busses, der stündlich vom Bahnhof in die umliegende Idylle fuhr, das Rollen der Frankfurter Bahn.
Der Lehrkörper unserer Realschule mit 5 Klas- sen, die jeweils kaum mehr als 20 Schüler und Schülerinnen umfassten, war so bescheiden wie die räumlichen Verhältnisse, angeführt von dem kurz vor seiner Pensionierung stehenden Studi- endirektor Haake, „Scheich Siebenhaar“ genannt, einem etwas fusseligen Herrn, der beim Sprechen gelegentlich „anhielt“ und zu unfreundlichen Streichen Anlass bot. Sein Stellvertreter, bullig, mit graumeliertem Stoppelhaar, Dr. Doberanz, das ganze Gegenteil und gefürchtet wegen seiner schneidenden Kritiken, das Parteiabzeichen am Revers seines ewigen Pfeffer- und Salz- Anzuges, eher gemütlichen ostpreußischen Akzent in preu- ßische Schärfe verwandelnd. Für das, was sich eines sommerlichen Tages ereignete, ist noch Frau Krause zu erwähnen, wallende grauhaarige Kunst- und Zeichenlehrerin, die zur unfreiwilligen Sach- verständigen wurde.
ImDirektorzimmerhingeinBilddesverewigten Reichspräsidenten von Hindenburg. Seither hat- te der „Führer“ auch diese Kompetenz noch über- nommen und seine Abbildung gehörte nach der Meinung einiger weniger Aktivisten unter den Eltern natürlich auch in E. in das Direktorzimmer. Geld dafür war nicht aufzutreiben, aber der Vater eines Mitschülers erbot sich, ein kostenloses Ge-
na dann... 18/2021
mälde zu schaffen. Frau Krause wusste, dieser Prof. Schleusing war an der Hochschule der Bil- denden Künste in Berlin tätig und gab nichtsah- nend ihr Plazet für seine Beauftragung.
Pünktlich zum Schuljahresende lieferte der Professor sein noch verhülltes Bild per Fahrrad, hängte Hindenburg ab und sein Werk auf. Ge- spannt warteten bei Schulschluss Direktor, Kol- legium, Aktivisten und viele andere Eltern im Di- rektorzimmer auf die feierliche Enthüllung. Der Konrektor, Parteigenosse Dr. Doberanz, redege- wandt, übernahm die kurze Festansprache, dass nun der „Führer“ endlich auch hier auf uns blicken würde. Neugierige Spannung allerseits. Das ver- hüllende Tuch nahm er vom Rahmen – was zeigte sich den Blicken der Versammlung?
„Er“ war deutlich zu erkennen, aber er sah ir- gendwie ganz anders aus, zwar in allbekannter Pose, leicht seitlich am Schreibtisch stehend. Das Braun seiner Uniform stimmte, aber die Schatten in seinem grob schwarz konturierten Gesicht, un- ter den Wangen, in den Augenhöhlen, sie waren leuchtend blau, giftgrün, rotviolett. Der Hinter- grund strahlte feuerrot! Stille. Direktor Haake, zu dem alle hinüberblickten, schüttelte leicht den Kopf. Ob Alterstremor, Missbilligung, stille Ver- wunderung? Er blieb stumm.
Der in Sachen bildender Kunst wenig gebildete Parteigenosse und Mathematiklehrer Dr. Do- beranz fühle sich veranlasst, irgendetwas zu sa- gen. Ihm entfuhren endlich die Worte „aber es iss umsonst jemalt“. Die Aktivisten, auch sie wenig kunsterfahren, begannen, zu überlegen. War das etwa „Entartete Kunst“, wie sie einst von der Par- tei in einer großen Münchner Ausstellung als „un- deutsch“ angeprangert worden war? Die anwe- senden Eltern hüllten sich in amüsiertes Schwei- gen. Pg. Dr. Doberanz begann zu schwitzen. Er fühlte, er musste jetzt mit der Autorität der Par- tei etwas Bestimmendes sagen. „Scheen iss es nich, aber es iss der Fiehrer“ gab er nach einer Denkpause die Denkrichtung vor.
Der milde fragende Blick des Direktors richte-
























































































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