Von Manni, 29.04.2020

Grüße von der Insel #4

(mex) Kürzlich Frau Mutter gesehen, die Anne-Sophie - im ZDF-Morgenmagazin. Gemeinsam mit einigen prominenten und im Namen zahlreicher weiterer Musikerkollegen*innen hat sie der Kulturstaatsministerin Monika Grütters einen Offen Brief geschrieben (kulturnews.de/kultur-in-zeiten-von-corona-offener-brief-monika-gruetters). Hierin fordert sie, all den Künstlern, insbesondere auch den weniger bekannten, denen das Wasser jetzt schon bis zum Halse steht, mit sinnvoll adressierter finanzieller Hilfe, beispielsweise mit Ausfallhonoraren etc. pp, unter die Arme zu greifen. So sichere man nicht nur das Überleben vieler kreativer Individuen, sondern erhalte auch die allgemein so sehr geschätzte Vielfalt der deutschen Kulturszene. Welch eine Wohltat, schon am frühen Morgen eine so überragende, privat jenseits aller materiellen Sorgen stehende Künstlerpersönlichkeit, mit Herz, Leidenschaft und klarem Kopf Partei ergreifen und ihre gewichtige Stimme im Sinne der Allgemeinheit solidarisch einsetzen zu sehen.
Für alle, die sich in der Ehe aus-, beziehungsweise nicht auskennen, auch hier gilt: Zusammenhalten und gegenseitiges Unterstützen, in guten, wie in schlechten Zeiten. Was hilft es, wenn im paradiesischen Wohlstand den schönen Künsten zugejubelt wird, um deren Erschaffer*innen in der Krise krachend vor die Wand fahren zu lassen. Und natürlich auch umgekehrt, wofür bedarf es eigentlich erst der Krise, die Arbeit vieler Menschen in Pflegeberufen wertschätzen zu lernen, während man jahrzehntelang deren finanzieller Unterausstattung eher gleichgültig gegenüberstand. Hängt alles zusammen, wenn man nur will.

Aber Anne-Sophie Mutter brachte in dem frühmorgendlichen Gespräch auch noch einen weiteren ausgeschlafenen Gedanken ins Spiel. Auf die Frage, was all die ganzen Konzertabsagen für sie bedeuten und wie sie mit der Situation umzugehen gedenke, erklärte sie nüchtern, dass sie das von ihr für 2021 angedachte Sabbatjahr vorziehen werde und die verlorenen Aufführungen stattdessen in das nächste Jahr zu legen versuche. Das „Sabbatical“, ein Zauberwort mit wahrlich euphorisierender Wirkung. Ist das Konzept in den letzten Jahren nicht sowieso schon arg in Mode. Beamte oder Angestellte, die einige Zeit auf Einkommen verzichten. um dann bei runtergefahrenen Bezügen ein Jahr lang den Traum ihres Lebens zu erfüllen versuchen. Endlich die Freiheit genießen, lassen was nervt, machen was Spaß bringt und die Wunden der vielen schweren Jahre lecken, die einen kurz vor das Burnout geführt haben. Hört man nicht privat von gefühlt fast jedem zweiten innerhalb des Bekanntenkreises, das nun endlich bald jenes Sabbatjahr beginne, mit dem sich auch die Hoffnung verknüpft, endlich den so quälenden Tinitus zu kurieren?
Und hier lassen sich doch ganz vielversprechend die beiden Ansätze der großen Geigerin zusammenbringen: Ein staatlich finanziertes Sabbatjahr für Musiker und andere Solokünstler, wie wäre das denn? Ganze 12 Monate die künstlerische Seele zur Ruhe kommen lassen, den Akku neu aufladen, vorhandene Ideen entwickeln neue kreative Ansätze ausarbeiten. Das klingt nach einer wunderbaren Win-Win-Situation. Die Kunst wird besser und ihre Liebhaber werden für den Vertrauensvorschuss belohnt und nach der Krise, diese Zeit wird ja voraussichtlich wohl doch einmal kommen, mit herrlichen Werken verwöhnt. Ein wahrlich fruchtbares Geben und Nehmen. Und vielleicht geht sogar auch noch der Tinitus flöten.... RING... RING..., hoppla, die Türklingel,... ich muss kurz eingeschlafen sein. „Dreaming, I was Only Dreaming...“, wie es so schön heißt in Billie Holidays “Gloomy Sunday”. Ein echt ruppiges Erwachen, autsch. Aber schön war er doch, der Traum.

Live Streaming @home: Yeah, ... go Karl!

Stichwort: schön! Gestern habe ich mein ersten Jazz-Konzert im Live-Stream, wie sagt man, besucht? Also ich war ja zu Hause, da hat mich doch dann eher die Musik besucht? Egal, Spitzfindigkeiten. Ich habe jedenfalls zur angekündigten Zeit pünktlich den Rechner eingeschaltet um, wie vergangene Woche bereits angekündigt, die Duo-Performance von Karl Schloz (Gitarre) und Stuart Kemp (Bass) zu verfolgen. Was soll ich sagen? Billie Holiday würde singen: „Streaming..., I was Only Streaming…” Aber halt, so schlimm war´s gar nicht. Nämlich ungefähr so: Das Standbild der Anbieterseite zählt die Zeit herunter, die Stimmung im Wohnzimmer ist noch entspannt, das Bügelbrett noch schnell weggeräumt, den Wein eingeschenkt, 5... 4... 3... 2...1 und..., herrje nix passiert. Doch da, mit leichter Verzögerung sitzen sie da, Karl und Stuey, das Stück hat schon ein wenig angefangen, es groovt heftig und schon ist man mitten drin. Allerdings leider nur mitten im Livestream, nicht in dem, was man einst Livekonzert nannte. Ist ein wenig eine einsame Veranstaltung. Obwohl, ganz alleine watche ich nun auch wieder nicht. Oben links im Bildschirm wird mir die Teilnehmer*innenzahl angezeigt. Ups, nur 3 zu Beginn. Gut, dass das die Musiker nicht sehen. Doch für die sind niedrige Zahlen nie das Problem, die geben eh immer ihr Bestes.


Sitzt, passt... und hat Luft

So auch jetzt, im zweiten Stück des Abends, „Stella By Starlight“. Und tatsächlich, laut Zählwerk versammeln sich jetzt bereits dreiundzwanzig virtuell fußwippenden Tischnachbarn unterm swingenden Sternenhimmel. Wenn jetzt vor jeder Glotze zwei sitzen, wären es schon fast fünfzig. Das Duo funktioniert famos, es ruckelt hier und da ein wenig, aber was soll´s, das liegt nur an der Übertragungstechnik. Interaktion zwischen Band und Hörer ist nicht. Ich versuche es nach tollem Solo mit einem „Yeah“ und einsamem Klatschen... da kräht aber nun wirklich kein Hahn nach und ist fast peinlich. Und dann ist es aus, die Musik war super und jetzt klatscht anscheinend auch der Kameramann. Verabschiedung der Band und „bis zum nächsten Mal“. Sicher, da bin ich auch wieder dabei, aber die Zukunft habe ich hier (hoffentlich) dann doch nicht erlebt. Jetzt geht auch noch der digitale Hut rum, und da erweist sich dann die größten Gemeinsamkeit zwischen „echt“ und „stream“: Die Vergütungsfrequenz per Paypal ist genauso ausbaufähig bis unverschämt wie beim altbekannten Originalklingelbeutel.
Und jetzt gehe ich erstmal in den Proberaum und probiere meinen neuen Mundschutz aus. Bleibt virenfrei.


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Manfred Wex
ist seit 35 Jahren bei der nadann… , Musiker (u. a. Walking Blues Prophets) und lebt in Berlin.
manfred.wex@nadann.de

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