Von Manni, 06.05.2020

Grüße von der Insel #5

Interview mit einem Gorilla
(mex) Hat es das eigentlich schon einmal gegeben, dass Musiker, von heute auf morgen, das Endprodukt ihrer Tätigkeit nicht mehr auf die gewohnte Art und Weise unter das Volk bringen können? Und zwar nicht aufgrund persönlicher Verfehlungen mit anschließender Sicherheitsverwahrung (Knast). Auch nicht als Folge repressiver, diktatorischer Maßnahmen zur Durchsetzung einer ideologischen Agenda, das kennen wir schon. Nein, ganz aus freien Stücken, fast freiwillig, wenn auch mit leichtem Druck von oben, aber doch in Verbindung mit einem gesamtgesellschaftlichen Konsens. Bei allem Verständnis für die Notwendigkeit der getroffenen Maßnahme (wie schließlich hätte eine Alternative aussehen können?), die Stilllegung einer kompletten Infrastruktur und der damit verbundene Verlust der Geschäftsgrundlage erfordert jedoch, neben der Suche nach kreativen Alternativmöglichkeiten, vor allem eines: ein dickes Fell.
Wobei wir irgendwie auch schon beim Thema sind: dem Zoo. Wie Zoo, wieso? - Wieso, „Wie Zoo?“? Na ja, die Berliner Zoos haben wieder eröffnet, im Gegensatz zu NRW schon seit dem 28. April. Der eine, der dem berühmten Bahnhof seinen Namen gab und sich als ältester noch existierender Zoo Deutschlands bezeichnet (Eröffnung 1844), sowie der andere, der im Osten der Stadt als „Tierpark“ seinen Bewohnern ein Zuhause gibt. Der im Westen liegt mitten in der Stadt, war Home of the Knut und macht seit einigen Jahren mit einem höchst gewinnbringenden Panda-Hype von sich reden. Kurz, der Zoo ist eine städtische Attraktion ersten Ranges. Ich war noch nie dort. Aber kaum verbreitet sich die Information der Wiedereröffnung, drängt sich sofort eine so logische, wie viel versprechende Idee auf.
Zu welchem Mittel greift man, wenn man in einer schwierigen Lage steckt, vor einer Herausforderung, für deren Bewältigung eigenes Wissen und Vorstellungskraft vielleicht nicht ganz ausreichend sind? Eine naheliegende Möglichkeit ist doch, Rat zu suchen bei Leidensgenossen* innen, die in vergleichbaren Umständen Erfahrungen sammeln konnten und durch Beobachtung und Reflexion eigenständige Gedanken dazu zu formulieren in der Lage sind. Wann, wenn nicht in Zeiten wie diesen: Ein Hoch auf die Experten. Und wer sind denn wohl die Top-No.1-Performer auf Erden, diejenigen, die ihr ganzes Leben vor Publikum absolvieren? Alles klar, schnell ein Online-Ticket für ein Zeitfenster des nächsten Tages besorgen und ab zum Zoologischen Garten, Olof-Palme-Platz, Eingang, perfekt, Elefantentor.

„Ich will hier raus, ich bin Systemelefant“

Einmal auf dem virtuelle Wildnis simulierenden aber sehr friedlichen Gelände gilt es, nicht viel Zeit zu verlieren. Schnurstracks geht es zum eingezäunten Lebensraum der Seelenverwandten – zum Affengehege. Dort möchte ich meine Fragen zur Krise der aufführenden Artisten loswerden und hoffe auf erhellende Antworten der smarten Primaten. Hier lebt auch der älteste in Gefangenschaft lebende Gorilla, das wahrscheinlich 63jährige Weibchen „Fatou“. Auch wenn ich nicht davon ausgehe, die zurückgezogene alte Dame vor das Mikrofon zu bekommen, so hoffe ich doch auf Auskunft von einem ihrer Familienmitglieder. Es ist früh am Morgen, was den Biorhythmus von Gorillas angeht bin ich ahnungslos. Nicht viel los hinterm Zaun. Davor aber auch nicht. Einige wenige Väter mit kleinen Kindern warten lauernd auf Tierbewegung. Ob die zugehörigen Mütter wohl alle systemrelevant arbeiten ? Alle Augen starren nun auf leere Klettergerüste hinter vertikalen Stäben. Früher hatten die Tiere übrigens pfiffige Namen hier im Zoo, „Dufte“ oder „Knorke“ hießen beispielsweise die Affen, ein zierliches Flusspferdchen hörte auf den leckeren Namen „Bulette“, ganz zu schweigen von „Olaf“ dem Rotducker.


Jetzt, wo hier gerade so gar nichts los ist, lohnt es sich, die Aufmerksamkeit auf die Klangkulisse zu richten. Musik liegt in der Luft: Stille, angereichert durch sensible Vogelgespräche und entfernte, dumpfe Kreaturgeräusche aus dem Off. Das hat schon Konzertcharakter, herrlich. Und da kommt dann auch endlich ein Gorilla ans Licht. Eine stolze Erscheinung, keine Frage. Ein kurzer Blick in die Augen und wir verstehen uns. Langsam schleicht sich das Tier am Zaun entlang, in den hintersten Winkel des Käfigs. Ich folge unauffällig außen herum und schon ist alles bereit für das erste Mensch/Affe-, Menschenaffe/Affenmensch- (nenn-es-wie-du-willst-) Interview der Welt:

Im Gespräch mit Mpenzi

Ich: Hey, schön, dass Du Dir ein wenig Zeit nimmst...
Gorilla: Kein Ding Alter, wir Vögel müssen doch zusammen halten.

Ich: Viele der menschlichen Musikerkolleg*in-nen sind plötzlich total isoliert von ihrem Publikum und wissen kaum damit umzugehen. Sag doch mal, ihr habt gerade eine vergleichbare Situation hinter Euch. Wie habt Ihr diese Zeit erlebt?
Gorilla: Sicher, auch wir leben von der Beziehung zwischen uns und dem Publikum. Was bringt einem schon der tollste Solo-Salto an der Liane, wenn höchstens Omma Fatou aus ihrem Hinterzimmerchen ein müdes „Bravo“ anstimmt. Mit der Zeit lernt man allerdings mit der neuen Situation umzugehen und das Beste daraus zu machen. Man beginnt an neuen Kunststückchen zu arbeiten und ich sage nur, ruhig schon mal anschnallen, in Kürze werden wir Performances abliefern, die die Welt noch nicht gesehen hat.


Sehen gut aus: die Flamingos

Ich: Das heißt, ihr seid in den vergangenen vier Wochen zu besseren Affen geworden?
Gorilla: Na ja, das sollen andere beurteilen. Fest steht, dass wir weiterhin nicht aufhören nach dem wahren Kern des Lebens zu suchen. Du hättest beispielsweise erleben müssen, wie es mir bei meiner letzten Probe gelungen ist, ein Fütterungskunststück mit sieben Bananen zum Fünfachteltakt singenderweise ein... aber pssssst, da will ich jetzt nicht schon zu viel verraten.

Ich: Aha, da sind wir gespannt. Wie habt ihr das denn mit der Ausgangsbeschränkung hinbekommen, war das eine größere Umstellung oder war die angelernte Käfigsituation in diesem Sinne eher eine Hilfe für...
Gorilla: (brummig): Jetzt aber mal schön vorsichtig. Da haben uns deine Menschenkollegen ja schon früh dran gewöhnt. Nicht zu unserem Vergnügen. Ausgehen konnte ich letztmals vor Jahren in meiner Heimat im Kongo. Nicht, dass da in Dschungel allerdings viel los gewesen wäre (wieder entspannt)...


Familie? Oder Wohngemeinschaft?

Ich: Sorry, da sind nicht unbedingt alle stolz drauf, wie das gelaufen ist. Aber zurück zur Kunst. Jetzt, wo ihr Euch wieder der Öffentlichkeit zeigt, hat sich grundsätzlich etwas verändert in eurer Art der Aufführung?
Gorilla: Wir Affen geben immer unser Bestes, wir kreischen immer aus vollem Hals und knuspern uns mit Wonne die Flöhe aus dem Fell. Bei verschiedenen Kollegen sieht das teilweise anders aus. Die Flamingos beispielsweise (deutet mit einer abfälligen Handbewegung auf das in Sichtweite befindliche Flamingoareal) setzen jetzt alles darauf, dass es reicht gut auszusehen. In ihrem Falle die rosa Federn und diese lahme Choreographie der Einbeinigkeit. Dabei liefern sie einen gesanglichen Beitrag ab, der fatal an ein Orchester verstimmter Fahrradhupen erinnert (im Ernst, das stimmt). Schlimmes Gedudel – für Euch Menschen hitverdächtig...


Ich: Äh, ja..., sicher. Vielleicht ja auch Geschmacksache. Noch eine Frage zu euren Nachbarn, den Wühlmäusen und Stachelschweinen. Ist jetzt vielleicht wieder die große Zeit des Kabaretts gekommen?
Gorilla: Es ist ja so: Wer etwas zu sagen hat, der wird immer etwas zu sagen haben. Vor, nach und während der Epidemie. Da wird es auch sicher immer starkes, wie uninteressantes Kabarett geben. Daran wird auch so´n Corönchen nicht viel ändern. Die alten Schweine und Mäuse bleiben natürlich Klassiker.

Ich:Eine letzte Frage. Nimmst du dein Publikum nach dieser Zeit der Trennung eigentlich als verändert wahr?
Gorilla: Der Mensch, soviel ist aus Affensicht sicher, wird immer der Mensch bleiben. Nicht, dass ihr da zu viel erwartet.

Ich: Vielleicht auch noch ein tröstliches Wort für die Musikergattung?
Gorilla: Seht schön zu, dass ihr nicht aussterbt. Uh, uh, uh, uh...

...sagt es, dreht sich um und verschwindet im nicht vorhandenen Dickicht zur täglichen Fütterung.
Autsch. Vielen Dank für das Gespräch und schnell weg hier.

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Manfred Wex
ist seit 35 Jahren bei der nadann… , Musiker (u. a. Walking Blues Prophets) und lebt in Berlin.
manfred.wex@nadann.de

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