Von Manni, 20.05.2020

Grüße von der Insel#7

Rückkehr der Livemusik, „Ron & Ley“ im Hot Jazz Club (Mi. 20h)

(mex) Endlich wieder einmal eine gute Nachricht: Die Musik spielt. Am Mittwoch, dem Erscheinungsdatum der aktuellen nadann... soll es soweit sein. Wo? Wann? Wer? Der Hot Jazz Club darf wieder. Eines der zentralen Lokale Münsteraner Livekultur sendet ein Signal. Das ist gut für den Club und gut für die Musik. Um 20 Uhr wird eingezählt, von Ronald Lechtenberg und Lea Berger. Draußen, auf der Rampe zur Kanalseite, drinnen ist zurzeit noch gar nichts möglich. „Ron & Ley“ spielen und singen aus ihrem Repertoire und führen das entwöhnte Publikum zurück in hoffentlich besseren Live-Zeiten. Wer dies noch rechtzeitig liest, sollte sich die Show, bei voraussichtlich bestem Wetter, nicht entgehen lassen.


Wunderbar, das ist ein Anfang und „ein wenig“ ist deutlich besser als „nichts“. Aber bis aus bessere Zeiten wieder gute werden, werden wir uns wohl noch lange gedulden müssen, Konsumenten* innen wie Produzenten*innen. Wie viele nutzbaren Open-Air-Bühnen gibt es denn in Münster, wie oft das dazu benötigte entsprechend gute Wetter? Und wie groß ist die Zahl all der Musikerkollegen*innen, die darauf brennen ihre Mission wieder aufzunehmen. So bleibt man hin und hergerissen zwischen optimistischem Ausblick und mit zahlreichen Bedenken belasteter und frustrierender Gegenwart.

Warten auf die Wiederkehr...

Helge Schneider hat sich auf facebook dazu geäußert. Der Mann, dem bislang in fast jeder Situation seines Schaffens ein schelmisch-anarchischer Blick auf die Welt eine stets inspirierende Ausstrahlung verliehen hat. Jetzt sitzt er hier, fast bierernst und berichtet von den Auswirkungen der Epidemie auf seine Arbeit. Der Verlust des Live-Publikums ist es, was ihm am meisten zusetzt. Die Besucher*innen seiner Shows, so Schneider, seien diejenigen, die seine Performance-Kunst erst möglich machen. Er will konsequent bleiben und erst nach Wiederherstellung aller krisenbedingt verlustig gegangener Freiheiten den Tour-Betrieb wieder aufnehmen. Gar nicht lustig. Dabei suggerierte sein Video vom Vormonat noch eine deutlich optimistische Herangehensweise an die Krisenzwänge. Helge spielte dort „fitzefatze“ am Klavier und stimmt seine Fans mit Mund-Nasenschutz, Speichelschild und Lederhandschuhen anscheinend schon mal auf bevorstehende Konzerte in dieser Art der Artistenrüstung ein. Denkste.


Man merkt auch hier, je länger das Ding andauert, desto geringer werden Geduld und Toleranzbereitschaft. Helge Schneider will sich vom Virus nicht die Art seines Live-Vortrages diktieren lassen. Dann eben lieber gar nicht. Gut für ihn, dass er weiß, mit welchen Tätigkeiten er die andauernde Warteschleife zu überbrücken gedenkt: Schallplatte, nachdenken und kochen. Das sind immerhin auch schon mal annähernd drei Full-Time-Jobs. Ob Schallplatte, ohnehin schon angeschlagen, sich in die neue Zukunft wird retten können bleibt abzuwarten. Zumindest die anderen beiden Verrichtungen bleiben hoffentlich zeitlos.
Nun mag man vielleicht nach der gut dreiminütigen und mit den deprimierenden Worten „wenn das so weiter geht, war´s das“ endenden Erklärung Schneiders ein wenig ernüchtert sein. Enttäuscht hier ein Lieblingsentertainer, ein Hoffnungsträger und Meister der überraschenden Wendungen und origineller Ideen plötzlich mit fast brutaler Abwesenheit von Humor? Sei´s drum. Auch Lieblingsentertainer sind Menschen. Und hier bringt ein Exemplar dieser Gattung seine Situation einmal kurz, knapp und absolut nachvollziehbar auf den Punkt.
Das ist sowieso ein Thema, dass in der öffentlichen Wahrnehmung eher seltener stattfindet. Ist von den Folgen der Corona-Attacke für Künstler die Rede, dreht sich die Diskussion fast ausschließlich um die materielle Herausforderung für die Betroffenen. Wie kann da geholfen werden? Aus welchen Töpfen kriegt wer welches Geld? Warum denn der/die dort und die/der andere dort nicht? Wofür darf er oder sie das Geld verwenden und was muss eventuell später zurückgezahlt werden? Die ganze Rettungsschirmorganisation halt. Es sei kurz daran erinnert, dass das bei vielen nur die eine Seite der Medaille ist. Der/die gemeine freie Künstler* in ist heutzutage nicht nur pleite. Und auch die Tatsache vielerorts vom Großteil der Gesellschaft als systemirrelevant abgehakt zu werden ist nicht der letzte Schmerz, den diejenigen Menschen spüren, die kürzlich noch wie selbstverständlich als Garanten für bessere Lebensqualität betrachtet wurden. Was wirklich einschlägt ist, dass ein Großteil dessen, was das Leben dieser Menschen definiert, nämlich die Ausübung ihrer Kunst, sich von heute auf morgen in Luft auflöst: Zeige mir denjenigen/diejenige, an dem/der diese Folter spurlos vorbeigeht. Eine Tatsache die im Hinterkopf zu haben, geht es um Gemütslage und Beurteilung sensibler Kreativer, in keinem Falle schaden kann.
“And Now for Something Completely Different” hieß es bei Monty Python , „We Now Interruped for a Commercial” erklärte Ornette Coleman. Ich habe lediglich ein: „Weiter zum nächsten traurigen Thema“ zu bieten.
Covid 19, die Atemwegserkrankung im Schlepptau des Virus, fordert Menschenleben. Ältere sind besonders gefährdet, das bekommt auch die Musikwelt zu spüren. Ich möchte hier die Gelegenheit nutzen, in lockerer Folge an Musiker zu erinnern, die dem Virus zum Opfer gefallen sind um zugleich dazu animieren, mal wieder oder erstmals in ihr Werk hineinzuhören. Beginnen möchte ich diese Woche mit einem Meister der Improvisation, dessen über sieben Jahrzehnte zu gigantischer Größe gewachsener musikalischer Fußabdruck weit über die verschiedensten Genregrenzen der Musik hinausstrahlt.

Zeit zum Hören Lee Konitz 13.10.1927 - 15.4.2020

Lee Konitz (13.10.1927 – 15.4.2020)
Gerade ein paar Jahre ist es her, da spielte Lee Konitz gemeinsam mit dem Trio des Pianisten Florian Weber im Berlin Club „A Trane“. Ein alter Mann mit Saxophon. Und wenn auch die Zeit ganz offensichtlich nicht spurlos an ihm vorüber gezogen war, Lee Konitz zeigte an diesem Abend alles, was ihn in den siebzig Jahren seiner Karriere ausgezeichnet hat. Gleich zu ihrem Beginn in den späten 40er Jahren, hat ihn sein Beitrag zu Miles Davis´“Birth of the Cool“ unsterblich gemacht. Es folgte Musik mit Lennie Tristano, Warne Marsh und unendliche Aufnahmen mit nahezu allen Größen des Jazz. Dabei hatte Lee Konitz schnell mit seinem Spiel eine Position etabliert, von der aus es ihm immer möglich war in fremde und ferne Gefilde vorzudringen, dort Neues aufzusaugen und Erfahrungen zu machen, dabei aber stets mit unverwechselbarem Sound und atemberaubender Vorstellungskraft einen originellen Beitrag zu hinterlassen. Treibende Duette mit Elvin Jones, filigrane Klangwolken mit Brad Mehldau, elektronisches mit sich selbst, ganze Platten im ¾ -Takt mit Fred Hersch, hypermoderne Coolness mit Zoller und Koller, das komplette Great-American-Songbook mit all jenen, die nicht bei drei auf den Bäumen waren. An jenem Abend im Berliner A-Trane ließ er alle Gedanken an die grandiose Vergangenheit vergessen, so stark und fesselnd war sein aktueller Vortrag.


Auch mit Münster hat Lee Konitz seine Geschichte. 1979 begegnete er mir bei einem meiner frühen Jazz-Konzertgänge. Mit „Karl Berger´s Woodstock Workshop Orchestra“ spielte Konitz im Landesmuseum, welch ein erster Flirt mit avantgardistischem Neuland. Trügt mich meine Erinnerung oder waren Oliver Lake UND Mel Lewis ebenfalls im Line Up? Viele Jahre später war Lee Konitz Gast in der Schlossgarten-Café Jazzreihe. Wer erinnert sich nicht gerne an die regelmäßigen Jazzhighlights, initiiert von Gourmet-Pianist und Virtuosen-Chef Tobias Sudhoff. Münsteraner Allstars (Tobi Sudhoff –p, Altfrid M. Sicking –vib, Jürgen Knautz –b, Dirk Zimmermann –dr) musizierten mit einer Jazz-Legende auf Augenhöhe. Tobias Sudhoff erzählt dazu eine persönliche Erinnerung: „Als Lee von mir einmal bekocht wurde (Anm: inzwischen hat sich Tobias Sudhoff überregional einen Namen als ausgezeichneter Koch gemacht), das war vor unserem Konzert, sagte er nach dem Essen auf dem Weg zum Schlossgarten: ‚Toby, I don't care if you can play, 'caus you can COOK!’ Seitdem war er immer sehr freundlich und respektvoll zu mir und hat sich noch so manches Mal auf ein musikalisches Abenteuer mit mir eingelassen.“
Dass Lee Konitz nicht nur mit Vorliebe ein exquisites Mahl, sondern auch immer noch jeden seiner geschmeidigen Töne genüsslich auf der Zunge zergehen lassen konnte, davon konnten sich seine Fans in Münster letztmalig im November 2010 überzeugen. Hier gelang es ihm und seinen Kollegen mit einem gänzlich unverstärkten Konzert im Hot Jazz Club, eine spektakuläre Atmosphäre der Ruhe und Spannung zu erzeugen, die bis heute einen Höhepunkt in der Geschichte des Clubs markiert.
Ein letzter Satz zum Thema „gelungene Soli von Jazzsaxophonisten im Kontext so genannter 'Pop-Musik' “. Nach dem unübertrefflichen Sonny Rollins (Rolling Stones „Waiting on a Friend“) kommen dann aber wohl auch schon die unglaublichen 100 Sekunden des großen Lee Konitz auf Elvis Costellos „Someone Took the Words Away“ (North, 2003). Check It Out!

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Manfred Wex
ist seit 35 Jahren bei der nadann… , Musiker (u. a. Walking Blues Prophets) und lebt in Berlin.
manfred.wex@nadann.de

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