Von Manni, 03.06.2020

Grüße von der Insel #9

-New York, New York-

Berlin damals (´86)

(mex) Heute mal der Sprung über den großen Teich. Von der „Roten Insel“ in Berlin-Schöneberg nach „Manhattan Island“, direkt nach New York City, der Hauptstadt des Jazz. Hier lebt seit über dreißig Jahren mein alter Freund und Kollege Ugonna Okegwo. Anfang der 1980er Jahre hatten wir unsere ersten gemeinsamen Jazz-Gigs in Münster. In sagenumwobenen Lokalitäten mit Namen wie „Neuer Krug“ oder „Café April“. Na, wer war damals schon dabei? Sehr lange ist´s her. Ugonna zog später nach Berlin, studierte mit Jay Oliver und Walter Norris und siedelte 1989 nach New York über. Hier wird er in den folgenden drei Jahrzehnten zu einem der gefragtesten Kontrabassisten der Szene. Früh hat er ein Trio mit Brad Mehldau und Leon Parker. Größen wie Clifford Jordan, Kenny Barron, Junior Cook, James Spalding oder Pharoah Sanders verlassen sich auf sein Bassspiel und schätzen seinen unwiderstehlichen Drive als Musiker. Mit dem Pianisten Jacky Terrasson feiert er ebenso internationale Erfolge wie mit der Bebop Legende Jon Hendricks und aus den Formationen des Trompeters Tom Harrell ist er seit Mitte der 90er Jahre nicht mehr wegzudenken. Der große Ornette Coleman hat ihn gemeinsam mit dem Gitarristen Russel Malone zu einer Triosession in sein Loft eingeladen. Gar nicht so schlecht für einen Jungen aus Havixbeck.


New York rezent

Und plötzlich ist alles ganz anders. New York befindet sich im Ausnahmezustand, schwer getroffen von der Pandemie. Die Musikszene liegt am Boden. Und anstatt durch die europäischen Hauptstädte und die großen Sommerfestivals zu touren, befindet sich Ugonna Okegwo inmitten des großen Lockdowns, der ihn zwingt, seine Tätigkeit bis auf weiteres gegen Null herunterzufahren. Grund genug einmal nachzuhören, wie die Lage so ist auf der Upper Westside des Big Apple.


Frage: New York ist eines der absoluten Epizentren der Coronakrise. Wie überraschend war es für dich, mit welcher Geschwindigkeit die Epidemie deine Stadt erreicht hat? Hattest du die Entwicklungen in Asien und Europa verfolgt und hattest du damit gerechnet, dass New York so schnell und so hart erwischt werden könnte?
Ugonna: Nachdem in Asien und Europa die Quarantäne angeordnet wurde, habe ich schon erwartet, dass sich auch in New York etwas verändern würde, aber das Ausmaß hat mich schon überrascht. Es ist natürlich irrational anzunehmen, dass es sich hier anders auswirken würde, aber ich habe so eine weltweite Katastrophe noch nicht erlebt und was sich da anbahnte erstmal verdrängt…einige wollen es ja bis heute noch nicht wahrhaben.

Die Stadt die niemals schlief

Frage: Kannst du kurz die Stimmung in New York beschreiben, das ja für viele als Sinnbild der modernen Metropole gilt. Eine Stadt, die sich schon vielen Herausforderungen stellen musste, diese positiv angenommen hat und damit oft auch ein hoffnungsvolles Signal in die Welt ausgesendet hat. Wie sieht es in dieser Krise aus, was Solidarität und Kampfeswillen angeht?
Ugonna: Es hat schon ein wenig gedauert bis sich die Bevölkerung mit den Einschränkungen abgefunden, und diese auch befolgt hat… bei Vorschriften sträubt sich der New Yorker erstmal. Die Stimmung ist mehr oder weniger gedämpft und abwartend. Die sonst so außergewöhnlich pulsierende Stadt ist momentan stillgelegt. Die Menschen nehmen schon aufeinander Rücksicht und, natürlich mit einigen Ausnahmen, respektieren den vorgewiesenen Abstand, was man sich vorher in dieser Stadt wohl kaum hätte vorstellen können. Die Energie die sonst überall zu spüren war liegt jetzt zum größten Teil brach. Solidarität, Kampfeswille und Zuversicht existieren, allerdings parallel zu, zum Teil katastrophalen ökonomischen, und gesundheitlichen Zuständen… vorbereitet war New York nicht.


Frage: Ein Wort zum Krisenmanagement von Präsident und Gouverneur?
Ugonna: Gouverneur: Hilfreich, Präsident: Pubertierend.

Frage: Gibt es finanzielle Unterstützung für Musiker von der Regierung?
Ugonna: Von der Regierung gibt es Arbeitslosenunterstützung für freiberufliche Arbeitskräfte, darunter fallen auch Musiker. Zusätzlich gibt es Hilfsfonds von verschiedenen kulturellen Organisationen und Stiftungen, die allerdings sehr schnell leergeschöpft werden…da gilt der uralte Satz: Wer zuerst kommt, frisst zuerst…

Frage: Eigentlich solltest Du gerade mit dem Wayne Escoffery Quartet auf Tour in Europa sein und dabei auch in Münster für die Jazzreihe des Westfälischen Kunstvereins Station machen (Konzert wird 2021 nachgeholt). Stattdessen hat das Virus den Musikbetrieb weltweit mehr oder weniger komplett stillgelegt. Allen Musikern geht es zurzeit ähnlich. Wie ist die Stimmung in der New Yorker Jazzszene?
Ugonna: Die Stimmung der New Yorker Jazzszene ist auch abwartend, auch wohl mit dem Bewusstsein, dass sich sobald nichts ändern wird. Was die Musikszene hier sonst so außergewöhnlich gemacht hat, ist im Moment erstmal auf Eis gelegt. Alles spielt sich mehr oder weniger privat ab. Jetzt, da die Temperaturen wärmer werden, haben einige Musiker damit begonnen in den Parks zu spielen. New York, als das weltweite Zentrum der live Jazzszene, ist sehr still geworden… es ist schon ein bisschen unheimlich.

Frage: Wie sehr fehlt dir das „Live“-Spielen vor Publikum?
Ugonna: Ja es fehlt mir schon sehr. Vor allem, weil man ja in der Livesituation mit dem Publikum in einem kommunikativen Verhältnis steht, und dieses damit in gewisser Weise auch auf das musikalische Erlebnis Einfluss nimmt. Man ergänzt sich. Das ist anders, wenn man alleine spielt, aufnimmt oder live streamt. Auch wenn man mit mehreren Leuten in einer Band direkt zusammenspielt ist es schon ein großer Vorteil. Aber es hat eine andere Qualität, wenn das alles vor Publikum passiert.
Die Live-Situation in Clubs und Konzerten ist etwas Besonderes. Das lässt sich mit nichts vergleichen. Wenn man beispielsweise irgendwo für sich im Park spielt und selbst wenn Leute da zuhören, dann passiert das mehr oder weniger per Zufall, was auch in Ordnung ist - das finde ich gut. Wenn man aber im Club spielt, dann kommen die Menschen wegen der Musik dahin und das hat dann eine große Auswirkung, weil das Verhältnis ein ganz anderes ist.

Frage: Hast du Erfahrungen damit gemacht Musik von dir „LIVE“ zu streamen? Könnte das eine Alternative werden, sollte sich die jetzige Situation noch über eine längere Zeit hinziehen? Und wie findest du das Konzept als Zuhörer?
Ugonna: Ein paar Livestreams habe ich mir angeschaut. Das erste Wort das mir da in den Sinn kommt ist ‘steril’… aber das soll es ja nun mal auch sein. Aber es ist auf jeden Fall gut zu sehen, dass die Musik weiterhin produziert, gespielt, aufgeführt und auch gehört wird. Ich selbst habe bisher nur indirekt bei solchen Produktionen mitgewirkt. Ich habe einige Male Basslinien für Kompositionen aufgenommen die dann als Grundlage für Livestream-Aufführung benutzt wurden. Im nächsten Monat werde ich dann auch bei ein paar von verschiedenen Clubs organisierten Livestreams dabei sein. Ich bin gespannt was musikalisch dabei herauskommen wird und auch wie sich die „Live“-Situation ohne analoges Publikum anfühlen wird.

Frage: Wie siehst du die Situation für die vielen New Yorker Jazzclubs, die teilweise schon seit vielen Jahrzehnten die Fahne der Musik hochhalten und jetzt möglicherweise vor dem Ende stehen. Was bedeutet Corona zum Beispiel für Institutionen wie das berühmte Village Vanguard, in dem du ja auch zuhause bist?
Ugonna: Die Jazzclubs sind seit Mitte März geschlossen, und es sieht im Moment nicht so aus als ob sie in absehbarer Zeit ihre Türen für ein Publikum öffnen können. Wie gesagt, ab Juni beginnen Läden wie das „Village Vanguard“ oder das „Smalls“ vermehrt Livestream Konzerte ohne Publikum zu organisieren. Das ist ein erster Schritt Livemusik zurück in die Jazzclubs zu bringen. Sollten diese Aktionen einigermaßen erfolgreich ablaufen, kann ich mir schon vorstellen, dass sich die Clubs bis zur zurückkehrenden ‘Normalität’ über Wasser halten können. Liveveranstaltungen sind einzigartig und können nicht wirklich ersetzt werden, die neuen Plattformen können allerdings bei der Überbrückung dieses weltweiten Notfalls helfen.

Fahrrad- statt Europatour (Trio mit David Berkman, piano Ugonna Okegwo, bass/ Adam Kolker, sax)

Frage: Wie sieht für dich persönlich dein aktueller neuer Alltag aus? Lernst du New York, du lebst hier seit über dreißig Jahren, noch einmal neu kennen?
Ugonna: Heutzutage bin ich, wie die meisten, hauptsächlich zuhause, übe, und spiele mein Instrument, und mache außergewöhnlich viele Fahrradtouren. Ja, ich lerne New York nochmal neu mit dem Fahrrad kennen. Es gibt sehr viele Gegenden die ich noch nicht kannte, noch nie besucht habe, oder von denen ich überhaupt nicht wusste, dass sie existieren. Die neuen Entdeckungen haben schon etwas sehr Interessantes an sich, und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich sie ohne diese erzwungene Situation nie gemacht hätte.


Frage: Du bist sicherlich selten so lange „am Stück“ in der Stadt gewesen, so ganz ohne Tourleben. Eine letzte Frage dazu: Hast du Muße und Gelegenheit, die Zeit kreativ zu nutzen. Gibt es vielleicht bald endlich eine neue Platte?
Ugonna: Ja, die Zeit ist schon da um sich kreativ zu beschäftigen, und ich arbeite auch daran…ob daraus auch etwas Brauchbares entsteht wird sich zeigen, das weiß man ja vorher nie…

Frage: Wir warten es dann mal ab. Noch etwas, was du loswerden willst?
Ugonna: Natürlich. Beste Grüße in die Heimat. Wir sehen uns im Kunstverein.

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Manfred Wex
ist seit 35 Jahren bei der nadann… , Musiker (u. a. Walking Blues Prophets) und lebt in Berlin.
manfred.wex@nadann.de

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