Von Manni, 29.07.2020

Grüße von der Insel #15

-Jam Session, First Set-

(mex) Hören wir einmal kurz auf Wikipedia: „Die Jamsession ist ein zwangloses Zusammenspiel von Musikern, die üblicherweise nicht in einer Band zusammenspielen und –singen.“

Klingt ein wenig unbeholfen, trifft aber einen wesentlichen Aspekt dieser Art von Veranstaltung. Musiker*innen treffen sich und improvisieren gemeinsam, meist unter Berücksichtigung ungeschriebener Regeln. Man muss sich dabei gar nicht unbedingt kennen, man einigt sich auf bestimmte Songs, Grooves und Tonarten und dann kann eigentlich auch schon eingezählt werden. Das musikalische Ergebnis ist dabei nicht unbedingt vorhersehbar. Im Gegenteil, alle Beteiligten haben zu den verschiedenen musikalischen Themen oft ihre eigenen Ideen. Persönlichkeiten reiben sich aneinander, die Gesamtlage gerät ins Schwanken, Irritationen fliegen tief und wer auf der Höhe bleiben will, muss stets wachsam sein. Es wird laut, leise, langatmig, aufregend, lustig und fordernd. Man schwitzt, tanzt, fragt oder wundert sich, probiert Geübtes aus und verstolpert bei Tempo 290. Das ganze Spektrum musikalischer Ausdrucksmöglichkeiten erhält seine Chance. Im Idealfall. Am Ende, und darauf kommt es an, hat es meistens allen Spaß gemacht. - Das fehlt. Freund*innen, Kollegen*innen, Publikum, das Gespräch in der Pause zum frischgezapften Bier. Das gemeinsame Bier geht gerade nicht, aber was hört man eigentlich von den lieben Kolleg* innen. Was gibt es Neues und was muss erzählt werden?

Einfach mal nachhören. Ich gehe meine Kontakte durch, stelle drei Fragen und bitte um Rückmeldung. Pling, pling, pling,... die Antworten lassen nicht lange auf sich warten. An dieser Stelle schon mal ganz herzlichen Dank an alle Beteiligten. Und los geht´s mit der Jam Session der etwas anderen Art:

Bitte eine kurze Bemerkung zur aktuellen Krise, beziehungsweise ein Statement zu Deiner persönlichen Situation.
Du hast einen Wunsch frei. Lass doch mal hören!
Wenn Du willst, hättest Du bitte ein paar Hörtips für uns?

Tobias Sudhoff

Antwort 1: Mich hat diese Krise natürlich voll erwischt - sowohl als Küchenchef in meinem Pop-Up-Restaurant "Neue Westfälische Stube" als auch als Künstler - ich war gerade vor der Premiere meines neuen Programmes "Iss was!?", welches im GOP-Theater geplant war und direkt in die Zeit des Lockdown gefallen ist. Das ist schon sehr bitter. Noch bitterer ist es, dass unsere Kulturstaatsministerin von der freien Kulturszene schlichtweg keine Ahnung hat und nur staatliche Kulturinstitutionen ernst genug nimmt, um die in der Krise zu fördern. Die freie Szene, die mehr als VW erwirtschaftet statt subventioniert zu werden, ist leider sehr schlecht organisiert und so scheinen es die meisten Bürger gar nicht geschnallt zu haben, dass dort mittlerweile etliche Künstler erfolgreich unterwegs sind, ohne täglich im TV zu sehen zu sein. Unsereins zahlt nahe am Spitzensteuersatz, unsere Shows bedeuten für etliche andere Freiberufler, Gastronomen, Techniker und viele andere fleißige Menschen Aufträge und Einkommen. Ich bin seit meinem 21. Lebensjahr in der Künstlersozialkasse. Zusätzlich sind viele von uns - wie ich auch - fürsorgliche Familienmütter-und-Väter, die in der Coronazeit die Arbeit der Lehrer übernommen haben. Diejenigen, die sich heute auf dem Kulturmarkt etabliert haben passen halt so gar nicht in das Bild des kaputten Künstlers, der Sex & Drugs & Rock´n´Roll als Lebensziel hat.


Antwort 2: Ich war in der Ardèche in der Grottes de Chauvet. Dort gibt es Höhlenmalereien, die vor knapp 35 Tsd. Jahren dort von damaligen Menschen-Künstlern mit verschiedenen Techniken an die Wand gezeichnet wurden. Als ich vor diesen Bildern stand, die mitunter den Duktus eines Picasso hatten, dreidimensionale Effekte samt Bewegung, da sah ich vor mir das überzeugendste Beispiel, wie systemrelevant Kultur ist: Die haben da damals nicht für Geld die Höhle verziert, sondern weil dies ein ur-innerstes Bedürfnis des Menschen ist. Sich auszudrücken, zu kommunizieren und sich mitzuteilen auf künstlerische Art. Weit vor dem Geldzählen und Lesen lernen Kinder Singen, Malen und Tanzen. Und wenn der kapitalistische Traum ausgeträumt ist und die Menschen neue Systeme und neue Erzählweisen sich ausgedacht haben, dann werden kulturelle Ausdruckformen immer noch da sein. Kultur ist das, was die Menschen davon abhält, sich den ganzen Tag gegenseitig die Schädel einzuschlagen. Das sollte man fördern - auch und gerade in der Coronazeit.

Tobias Sudhoff ist als Musiker, Kabarettist, Autor, Food-Forscher und Koch seit vielen Jahren in Deutschland und Europa auf Tour, u.a. mit so unterschiedlichen Leuten wie Bernd Stelter, Knut Kiesewetter, Charlie Mariano, Herb Geller u.v.a
www.tobiassudhoff.de

Adrian Hemley

Antwort 1: "Hey Covid, schleich dich vom Hof!". So - oder so ähnlich - stelle ich mir vor, wie ich den Virus zurechtweisen würde, wäre er ein Mensch. Der kleine Covid ist wie eine überdrehte Version einer schlecht erzogenen Nervensäge, die sich überall einmischen muss, allen Mitmenschen auf den Zeiger geht und auf narzistische Art und Weise seinen Willen durchsetzen muss. Ich, ich, ich. Meins, meins, meins. Solche Eigenschaften sind schon bei Menschen sehr unschön. Als wäre es nicht schon schlimm genug, der kleine Covid ist dabei auch noch unsichtbar, geruchlos und könnte sich heimlich unter jedem Tisch der Republik verstecken; nicht greifbar und in jeder gesellschaftlichen Schicht. Wie ein kleiner grüner Troll, der einen nervend anschaut und brüllt "Fang mich doch!".


Der kleine Covid hat mich persönlich nicht besucht. Jedoch machen sich die Ausläufer seiner bitterbösen Streiche auch bei mir bemerkbar. Alle geplanten Gigs wurden dieses Jahr abgesagt. 2020 sollte ursprünglich mit vielen kleinen Highlights geschmückt werden, viel neues Material sollte der breiten Masse auf Festivals und in Venues vorgestellt werden. Doch dann fiel die Tür ins Schloss: Lockdown. Von jetzt auf gleich ging gar nichts mehr. Keine Auftritte, keine sozialen Kontakte. Mit großer Sorge beobachtete ich gerade jene Institutionen und Einrichtungen, dessen Bühnen ich mein Wohnzimmer nennen darf. Schlagzeilen wie "Club-sterben", "Veranstaltungsbranche am Boden" - um nur einige Hiobsbotschaften zu nennen, die mein direktes persönliches und berufliches Umfeld betreffen - prasseln auf einen ein.

Auch wenn das öffentliche Leben vor der Haustür ziemlich trist wirkte und stillzustehen schien, hinter geschlossener Tür ging es weiter: Online Schlagzeugunterricht mit E-Drumset und Webcam. Die Schülerinnen und Schüler waren froh einmal pro Woche ein anderes Gesicht zu sehen und eine Abwechslung zur E-Mail Flut an Schulaufgaben zu haben. Auch die Produktionen zweier neuer Alben für meine Bands "Snakatak" und "The Roads" konnten angepackt bzw. weitergeführt werden. Die geplanten Release Konzerte werden aufgrund der aktuellen Situation jedoch noch etwas auf sich warten lassen müssen.

Seit Ende Mai hat es sich zumindest auf der Unterrichtsseite wieder einigermaßen normalisiert: Präsenzunterricht! Social Distancing, Unterrichtsräume desinfizieren, Maske tragen - alles kein großer Akt. Die Belohnung dafür ist sozialer Kontakt auf 1,5 m Entfernung. "Besser als nichts!", denke ich mir jedes Mal. Da wird einem schnell bewusst, dass der Mensch ein Rudeltier ist und nicht dafür gemacht ist, nur in "der Bude zu hocken."

Antwort 2: Ich würde mir wünschen, dass schnell ein Impfstoff verfügbar ist, damit Konzerte, Festivals und Events wieder möglich sind und man die Interaktion mit dem Publikum genießen kann.

Hörtips:
1. Snarky Puppy – We Like it Here;
2. Dave Weckl & Jay Oliver – Convergence;
3. Biréli Lagrène – Electric Side

Adrian Hemley arbeitet als professioneller Tour- und Session-Musiker für diverse Genres und Formationen und ist als Dozent im Raum Münster tätig.
www.adrianhemley.com

Andy Galore

Antwort 1: Covid-19 is not the first and won’t be the last crisis we as musicians have to face. I believe staying positive and optimistic during these surreal times is a challenge for everyone, but the key to stay balanced, it makes me think of the old saying: “The show must go”...I personally try to make the best out of the situation by focusing on practicing, arranging and writing new material, that I couldn’t find the time for prior to the pandemic. I’ve also put a new band together in Münster, we’ve already started rehearsing & we’ll rock the house!


Antwort 2: We would love to be able to lock in a steady, weekly gig somewhere in Münster and provide folks with funky flavours, straight from Brooklyn.”

Hörtips:
Andy Galore – Chicken & Scotch (feat. Oz Noy); Mother´s Finest Live 1979 – Don´t wanna come back (Andy: “When I heard that bass solo (at 2:46) at age 11 I knew I had no other choice, but to become a bass player”)

Andy Galore, Bassist, Komponist, Bandleader, mit Wurzeln in Münster und Brooklyn, New York
www.andygalore.com

Paul Teschner

Antwort 1 + 2: Als im März viele Menschen zuhause geblieben sind, kam mir das persönlich gut zu pass, denn ich bin Ende März von Berlin nach Münster umgezogen. Zu diesem Umzug, hatte ich mich kurz vor Beginn der "Krise" entschieden und als ich dann wirklich umziehen wollte, war es erst einmal gar nicht so klar, ob das überhaupt zu bewerkstelligen wäre. Es klappte und ich bin zum ersten Mal die Strecke auf der A2 tagsüber Wochentags ohne Stau gefahren, herrlich.


Ansonsten möchte ich mich ungern zu dieser ganzen Situation äußern. Mir scheint es offensichtlich, dass diese ganze Aktion Mittel und Zweck einer absichtlich verschleierten Machtpolitik ist, die einer Zeitenwende gleichkommt und noch Jahre wüten wird. Aber darüber kann die na dann... mich gerne noch mal in 10 Jahren befragen. Auch wenn ich mir wünschen würde, es wäre bald wieder möglich, mit irgendwelchen netten "Fremden" heiße Nächte in coolen Clubs eng-tanzend zu verbringen, gehe ich davon aus, dass es dazu - so ungezwungen und selbstverständlich, wie noch in 2019 - nie wiederkommen wird. Der Drops ist gelutscht und dieses Mal saugen alle nach Kräften mit. Wer den Drops hingehalten hat und was drinsteckt? Ach egal, ist auf jeden Fall pandämlich, ups sorry, Verschreiber, pandemisch. Übrigens, zum Abschluss noch ein kleiner Partytrick, auf den mich ein guter Freund gebracht hat: Erwähne ganz beiläufig die Carola-Krise und beobachte, wer diesen kleinen Versprecher überhaupt bemerkt. Wer steckt nochmal im Detail?

Hörtips:
John Coltrane – Ballads;
Archie Shepp – Ballads for Trane;
Miles Davis - Nefertiti

Paul Teschner: geb. 1966 in Münster, Schlagzeuger, Musiker, Komponist, Bandleader, Lehrer, Hypnose- und Psychotherapeut

Jan Klare

Antwort 1: Mir geht es insgesamt sehr gut. Dieser historische Zwangsstop hat neben ein paar Ängsten auch viele positive Kräfte freigesetzt und mich in eine interessante Art von Produktivität geleitet.


Antwort 2: Ich würde mir wünschen, dass viele der positiven Impulse… Protest gegen Adidas oder Spotify, Schärfung sozialer Themen und die große Frage nach Solidarität stark und stärker würden und bleiben.

Hörtips:
1. Laurel Halo – Raw Silk Uncut Wood;
2. Paul Lansky – Music Box;
3. https://umlandrecords.bandcamp.com/

Jan Klare, Musiker + einige Sachen die so dazugehören.
www.janklare.de

Und, auch so ein Session-Phänomen, man mag es kaum glauben, aber das war es schon mit dem ersten Set. Und wie auf jeder vernünftigen Live-Session geht es nach einer kurzen Pause mit frischen Ideen in die zweite Runde. Also, kurz Beine vertreten, vielleicht ein Zigarettchen an der frischen Luft und nächste Woche geht es weiter. Und wer noch einsteigen möchte, bitte gerne melden unter manfred.wex@nadann.de

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