Von Tobi, 10.06.2020

Schule 2020, oder eher: 1920? – Teil 1

Ich zitiere Brit aus Ihrer Kolumne der letzten Woche:
"Den Eltern wird die Rolle des Lehrenden aufgebürdet. Wer aufgrund seiner beruflichen Belastung keine Zeit hat, wer nicht über die sprachlichen Kenntnisse zur Vermittlung verfügt, wer vielleicht auch kein gesteigertes Interesse an der schulischen Bildung sieht, dessen Kinder bleiben auf der Strecke.
Diejenigen, die auf uns Erwachsene angewiesen sind, dass wir für ihre Zukunft Sorge und Verantwortung tragen, werden von denjenigen, die Jahrzehnte lang ein ausschließliches, privates Homeschooling unter Strafandrohung verboten haben, im Stich gelassen. Es ist an der dringenden Zeit, dass sich in der Schullandschaft Deutschlands was ändert. In der momentanen Situation bleiben viel zu viele Kinder auf der Strecke.
"
Ich gehe noch einen Schritt weiter: Die Corona-Krise zeigt überdeutlich das Totalversagen deutscher Bildungspolitik. Die Generation unserer Kinder wird, wenn sich nicht schnell etwas ändert, schlecht ausgebildet und mit einer wahrscheinlich nie dagewesenen Wirtschaftskrise an den Hacken ins Berufsleben geschickt. DAS ist unser großes Problem und nicht die Frage, ob der diesjährige Sommerurlaub ausfällt!

Schule 1980 - topmodisch!

Wir haben ein verkrustetes, politisch statt fachlich geführtes, autoritär organisiertes und ineffektives Bildungssystem mit unzureichend qualifiziertem Personal, welches – das ist zumindest meine Erfahrung aus meiner Grundschulzeit und der meiner Töchter – in gerne baufälligen, verschimmelten Gebäuden mit minderwertiger Austtattung, stinkenden Toiletten und trostlosen Außenbereichen analogen Unterricht erteilt und nicht mal dafür ausreichendes und modernes Lehrmaterial hat.


Bereits vorhersehbare Systemstörungen – zum Beispiel halte ich bei 100% weiblich besetzten Kollegien das Vorkommen von Schwangerschaften für nicht ganz unwahrscheinlich – führen sofort zu massiven Unterrichtsausfällen. Auch kleinste Instandsetzungsarbeiten lassen jahrelang auf sich warten. Eine langfristige Personalplanung findet nicht statt. Die Gelder aus dem vielgelobten Digitalpakt kommen in den Schulen nicht an. Und selbst wenn jedes Kind ein Touchpad hätte, könnten viele Lehrerinnen ihnen die Nutzung nicht beibringen.
Ordentlich lernen können, um mal ganz ehrlich zu sein, in diesem System nur nicht behinderte, nicht mit Lernschwierigkeiten behaftete, gut deutsch sprechende Kinder aus deutschsprachigen und am Schulerfolg der Kinder interessierten Elternhäusern. Der Rest fällt irgendwie mehr oder weniger durch. Dabei ist eine gute Schulbildung in der Breite das Beste und Wichtigste, was wir der nächsten Generation mit auf den Weg geben können.
Stigmatisierung statt Chancengleichheit ab der Einschulung, 1920 statt 2020, das ist an Deutschlands Schulen leider oft die niederschmetternde Realität.

Schule 2020 - dazwischen liegen vierzig Jahre Politikversagen!

Wer schlecht ausgebildet ist, hat schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Das ist eine Binsenweisheit. Und die einfachen Jobs, die bleiben, fallen durch Automatisierung und Digitalisierung zusehend weg. Wir erzeugen mit unserem Schulsystem ein Heer von Langzeitarbeitslosen. Das kommt uns auf Dauer teurer zu stehen, als jetzt ein paar Milliarden Euro in die Zukunft unserer Kinder zu investieren.


Ein Blick über den großen Teich hin auf die USA zeigt gerade in dramatischer Zuspitzung, was mit einer Gesellschaft passiert, die immer größere Bevölkerungsgruppen sitzen lässt: Chancenlosigkeit ab Geburt für alle Nichtweißen, Massenarbeitslosigkeit, offener Rassismus, eine erbarmungslose Wirtschaft, eine unfähige und tatenlose Mittelschicht, die apathisch im Drogenrausch versinkt und dazu ein asozialer, rassistischer Schwachkopf als erwählter Messias tumber, schießwütiger Farmer, der auf dem besten Weg ist, das Land in eine Diktatur zu verwandeln, deren einziger Zweck es ist, sich und der maßlos gierigen Elite die Taschen noch voller zu machen.
Wollen wir das? Nein? Dann schauen wir mal, was sich alles ändern müsste, damit es besser läuft. Fangen wir mit der obersten Ebene an, denn der Fisch stinkt ja bekanntlich vom Kopf her. Nächste Woche geht es weiter!

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Tobias Voigt
ist 49 Jahre alt, verheiratet und hat zwei Töchter. Er wohnt in Münster, arbeitet seit 25 Jahren bei der na dann und ist Weinhändler (divino.de)
tobi@nadann.de

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