Von Tobi, 29.07.2020

Shopping 2020

Letzte Woche schrieb ich bei der Analyse meiner Quartalszahlen: "Es gibt eine Bewegung (…) "im Geschäft kaufen > von zu Hause bestellen", eine Verschiebung, die sich anscheinend hält oder sogar noch größer geworden ist.

Woran kann das liegen?

Ich lasse mal alle Statistiken links liegen und beschreibe den Sachverhalt aus meiner persönlichen Sicht. Fangen wir diese Woche mit den großen Warenhäusern an, Dinosaurier des Einzelhandels. Die sind, meiner Meinung nach, nichts anderes als die analoge Variante des Internets. Man bekommt alles an einer Stelle und mit ein wenig Suche auch Beratung und Information. Aus dieser Perspektive betrachtet ist das Geschäftsmodell zwar seit nunmehr zwanzig Jahren obsolet, aber ein wenig nostalgisches "Live"-Flair beim Shoppen ist ja vielleicht trotzdem ganz schön. Soweit die Theorie.

In der Praxis lief mein letzter Warenhausbesuch so ab, dass der von mir gewünschte Artikel (Unterwäsche der unternehmenseigenen Hausmarke) in der passenden Farbe nicht vorrätig war. Personal gab es nur an der Kasse und meine Nachfrage wurde beschieden mit "ja, das ist ausverkauft". Auf die Rückfrage nach der Lieferzeit kam als Antwort "müsste Freitag wieder da sein". Auch am Samstag war nichts da. Erneute Nachfrage an der Kasse. Antwort "Ja, weiß ich auch nicht!"

BÖÖÖP!

Das alles hat sich vor Corona samt der bekannten Lieferengpässe abgespielt. Hier verliert ein kommerzielles Auslaufmodell sehenden Auges sein letztes Alleinstellungsmerkmal, und zwar selbst verschuldet.

Wenn ich jetzt einmal Standardfunktionen in Webshops re-analogisiere, hätte mir die Verkäuferin einen Rückruf (von SMS, WhatsApp oder E-Mail wage ich nicht zu sprechen) bei Lieferbarkeit anbieten können oder, um den Umsatz wenigstens im Unternehmen zu halten, auf die eigene Website verweisen können. Da war der Artikel nämlich während der ganzen, wochenlangen Prozedur sofort lieferbar. Hätte sie auch mal eben mit mir zusammen checken können. Ein ganz verwegener Weg wäre, direkt über eine interne Funktion zu bestellen und mir die Ware entweder im Geschäft zu hinterlegen oder nach Hause zu liefern. Man könnte auch den leeren Platz im Regal mit einem Barcode versehen, der direkt zum Artikel im Online-Shop führt. Oder, noch einfacher, einen Rabatt anbieten, falls ich bereit wäre, meine Unterwäsche in einer anderen, vorrätigen, Farbe zu kaufen.

Aber, wie schallt es immer wieder aus Münsters Gassen, stadtauf, stadtab: hätte, hätte, Fahrradkette!

Offensichtlich fehlt es hier an allem, an Aus- und Fortbildung, Kundenorientierung, unternehmensinterner Kommunikation, Motivation sowie logistischer und technischer Ausstattung. Analog und digital laufen im gleichen Unternehmen parallel, jedoch anscheinend unvernetzt. Meiner Ansicht nach einer DER Kardinalfehler, die im deutschen Einzelhandel begangen werden!

Lieber lässt man ein veraltetes System mitsamt der vielen Angestellten achselzuckend untergehen und behandelt die Kunden, die noch kommen, wie pestkranke, lästige Wegelagerer, als den Zwang zur Veränderung als Herausforderung tatsächlich anzugehen.

Münster um 1600 aus der Sicht eines Holländers. Wir werden 400 Jahre später in die Gegenrichtung blicken!

Unser Oberbürgermeister hat sich neulich pressewirksam vor Freude überschlagen, als die Nachricht kam, dass beide Münsteraner Warenhäuser (die mittlerweile zum gleichen Konzern gehören und auch noch direkt nebeneinander das Herz der Altstadt verschandelnd herumstehen) erhalten bleiben sollen. Da mag er an potenzielle Wählerstimmen und die städtische Arbeitslosenstatistik gedacht haben. Wirtschaftlicher Totalunsinn und Verschwendung von wertvollem Raum in der City ist das trotzdem.


Die Stadtverwaltung sollte sich umdrehen, wirklich nach vorne statt in die Vergangenheit blicken, auch mal über den Tellerrand schauen und eine zukunftsfähige Strategie entwickeln, wie man die Leute auch in zwanzig Jahren noch tagsüber vom Sofa runter in die Stadt und in die Geschäfte bekommt (damit meine ich ausdrücklich auch den Weg dorthin!). Ansätze und Vorbilder gibt es dafür genug.

Nächste Woche werde ich daran anknüpfen und von Shoppingerfahrungen bei unseren niederländischen Nachbarn berichten.

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