Von Tobi, 05.08.2020

Friesland-Shopping

In der letzten na dann… habe ich den Blick über den Tellerrand auf den Einzelhandel im Nachbarland angekündigt. Wir haben, wie vor zwei Ausgaben bereits erzählt, drei Städte verschiedener Größe in den Niederlanden besucht, Dokkum, Leeuwarden und Groningen mit jeweils ca. 12.000, 120.000 und 230.000 Einwohnern. Die Innenstadt von Leeuwarden ist ungefähr so groß wie die von Münster. Welche Unterschiede gibt es zum Einkaufen in Münster? Was ist besser, was schlechter oder einfach nur anders?

Das Auffälligste: Die Innenstädte, zumindest von Dokkum und Leeuwarden, sind wirklich nahezu autofrei. Ungefähr so, als wenn in Münster innerhalb des Promenadenrings der motorisierte Individualverkehr verboten wäre. Das schafft Ruhe (kein Autolärm) und Entspannung (man kann die Kinder laufen lassen, es gibt mehr Lokale mit angenehmen Aussenplätzen). Parkmöglichkeiten am Innenstadtrand stehen immer in genügender Zahl zur Verfügung.

Der schiefe Turm von Leeuwarden

Außerhalb der Innenstädte, dafür sind die Niederlande bekannt, laufen die Verkehrswege komplett voneinander abgetrennt. Radwege sind meist so angelegt, dass sie gar nicht erst zugeparkt werden können. Das unübersichtliche Chaos, das durch das zwangsweise Zuammenpferchen von Autos und Fahrrädern auf unserem Ludgerikreisel entsteht, gibt es dort nicht, ganz zu Schweigen von Zuständen wie beispielsweise in Essen, wo Fahrradfahren in weiten Teilen der Stadt immer noch lebensgefährlich ist. Insgesamt herrscht im Straßenverkehr eher ein höfliches Miteinander als der leider übliche deutsche Straßenkrieg. Alle verhalten sich rücksichtsvoller und disziplinierter als bei uns. Auch das schafft Entspannung!


Warum dann allerdings in einer der belebtesten Geschäftsstraßen in Groningen das Fahrradfahren mitten zwischen den Fußgängern erlaubt ist, haben wir nicht verstanden.

Kommen wir nun zu den Geschäften selbst. Zuallererst: es gibt mehr individuelle Einzelhändler und nicht fast nur, wie mittlerweile in vielen deutschen Innenstädten, die üblichen Kettenfilialen. Das schafft eine attraktive Auswahl an – durchaus bezahlbaren – Waren, die man nicht an jeder Ecke und schon gar nicht überall im Netz bekommt (außer natürlich auf der hauseigenen Website). DAS Alleinstellungsmerkmal par Excellence! Dokkum beispielsweise bietet mit seinen ca. 12.000 Einwohnern eine größere Einkaufsvielfalt als so manche deutsche Großstadt.

Woran liegt das? An niedrigeren Mieten gewiss nicht, gerade Leeuwarden und Groningen sind keine billigen Städte. Meiner Überzeugung nach hat das einen anderen Grund: man hält sich gerne in den Städten und in den Geschäften auf, es wird mehr auf die einfachen Bedürfnisse der Kundschaft geachtet. Das fängt schon mit einer eigentlichen Banalität an: vor nahezu jedem Ladenlokal in Dokkum und Leeuwarden steht eine Bank und lädt zum Verweilen ein. Es spielt dabei überhaupt keine Rolle, ob man in dem Etablissement etwas kauft oder nicht. Ein Segen für Familien mit kleinen Kindern, ältere Leute oder einfach Gruppen mit verschiedenen Einkaufsinteressen. Ich warte einfach draußen, setzte mich entspannt hin und betrachte die Schaufenster gegenüber (!), während die Damenmannschaft weiter "Jäger und Sammler" im nächsten Kleinkramladen spielt.

Der schiefe Turm von Leeuwarden

In den Geschäften setzt sich das fort: Es wird nicht jeder Quadratzentimeter für die Warenpräsentation genutzt. Man hat deutlich mehr Platz, meist gibt es auch drinnen eine Sitzmöglichkeit, oft mit Kaffee- und/oder Wasserquelle. Das gilt seltsamerweise ebenso für die großen Häuser: Die Leeuwardener Repräsentanz der großen niederländisch-deutschen Bekleidungskette mit den zwei Buchstaben und dem "&" im Namen beispielsweise ist hell und weiträumig eingerichtet, statt, wie in Münster, ein dunkles, enges Loch.


Zusätzlich gilt leider immer noch: Die Leute in den Geschäften sind generell freundlicher, aufmerksamer und gleichzeitig zurückhaltender als bei uns. Wir haben weder stoffeliges und unlustiges Warenhausperonal, noch prämiengetriebene, auf uns zustürzende Schuhverkäuferinnen oder bratzige, nagelfeilende Vorstadtschminkteufel getroffen. Ob das an anderer Schulung oder schlichtweg verschiedener Mentalität liegt? Die Kundschaft ist im Schnitt übrigens auch wesentlich geduldiger und weniger fordernd als viele unserer deutschen Zeitgenossen…

Ich weiß, dass in Münster vieles besser läuft als in anderen Städten in der Nachbarschaft, zum Beispiel Gelsenkirchen, wo der Nachkriegswiederaufbau eine menschenfeindliche Betonhölle erzeugt hat, oder Oberhausen, wo die gesamte Innenstadt einer einzigen großen Mall auf der grünen Wiese geopfert wurde. Aber Luft nach oben ist immer, und wir sollten alles tun, um unseren bisherigen Vorsprung zu erhalten, vielleicht sogar auszubauen.

Mit dem eigenen Auto möglichst bis ins Geschäft fahren zu können wird allerdings nicht dazu gehören.

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