Von Günter, 14.06.2017

AVISHAI COHEN/ NOGA EREZ/ MULATU ASTATKE/ ENJI/ TUIJA KOMI & VLAD COJOCARU/ HUGO RACE & MICHELANGELO RUSSO

So, das Beatles- und Kraftwerk-Fieber hat sich gelegt, zurück ins Jetzt. AVISHAI COHEN legt sein 2. Album für ECM vor. Sein klares, eher zurückhaltendes Trompetenspiel wird auf „Cross my Palm with Silver“ von seinen Mitstreitern an Bass, Drums und Piano, entsprechend unaufgeregt und einfühlsam eingerahmt und unterstützt. Rhythmisch versiert folgen sie den melodiösen Ausflügen des ‚Horns‘, finden adäquate Harmonien und lassen den Hörer (sie auch) an alles denken, nur sicher nicht an fast freien Jazz.

Bei NOGA EREZ „Off the Radar“ gibt der Album-Sound die Denkrichtung sehr präzise vor. Deutlich orientiert am Schaffen von Herrn Tricky. Eigenwillige Harmonien, gebrochene Beats, tiefe Frequenzen und eine Frauenstimme, die die Geräuschkulisse dominiert. Keine Kopie oder Abkupferei, lediglich aus ganz verwandten Zutaten ein sehr eigenständiges Gewächs gezüchtet.

Hier eine, die mir sehr am Herzen liegt: „Mulatu of Ethiopia“ von MULATU ASTATKE. Bereits 1972 aufgenommen, in NY, zeigt es den Erfinder dieses Musik-Stils ganz am Anfang der Schöpfung seines ‚Ethio-Jazz‘. Beinahe Tiefenentspannt grooven der Vibrafonist und seine Begleiter durch diese ungewöhnliche Mischung aus afrikanische Tonfolgen, langsamen Soul-Rhythmen und jazzigem Zusammenspiel. Fast meditativ an der Oberfläche, raffiniert zusammengesetzt und absolut unaufgeregt. Kommt als 1 CD/1 LP oder, für ganz versessene als 3 LP mit einem Bündel Session-Outtakes.

Jazz aus der Mongolei

Ähnlich eigenständig aber sehr viel näher an unseren gewohnten Vorstellungen von zeitgenössischem Jazz klingt „Mongolian Song“ von ENJI. Sie ist eine der ersten Absolventinnen des Ausbildungszweigs Jazz am GMUB, dem Goethe (Instituts) Musiklabor Ulan Bator. Mit Johannes Enders, Sax, Martin Zenker, Bass und Billy Hart, Drums, hat die junge Frau ein exzellentes Trio als Rückhalt für ihre stimmlichen Ausflüge. Auch wenn sie noch keine neue Ella oder Dianne ist, ihre Art, die heimische Gesangs-Tradition in den Jazz Kontext einzubringen, ist spannend zu hören. 10 Titel aus dem Schaffen des wichtigsten mongolischen Komponisten haben die 4 für diese CD aus den originalen Melodien und Rhythmen in durchaus komplexe jazzige Arrangements transformiert. Kulturgut?


Tango aus Finnland

Einen sicher weit geringeren kulturellen Ansatz verfolgen TUIJA KOMI, Sängerin aus Finnland, lebt in Bayern und ihr Akkordeon spielender Kollege VLAD COJOCARU aus Moldavien. Zusammen spielen sie Tango. Ein Ohr für Tradition haben sie aber sehr wohl. Auf ihrem „Satumaa“ finden sich neben Titeln aus der jüngeren finnischen Tango-Geschichte gleichberechtigt Titel von Piazzolla, A.C. Jobim, Stevie Wonder, Carlos Gardel oder Henry Mancini. 12 kleine Leiden, mit einem Augenzwinkern serviert von 2 Seelenverwandten, die das Leben nicht leichter nehmen, als es ist, dabei aber ihren Humor nicht verlieren.


Blues aus Berlin

In diesem Jahr wäre John Lee Hooker 100 Jahre alt geworden. Hätte ich wissen können, haben mich aber erst HUGO RACE & MICHELANGELO RUSSO dran erinnert. Ihr „John Lee Hooker’s World of Today“ ist nicht nur eine Hommage an eine der grossen Blues Legenden, Wegbereiter des Rock’n’Roll, sondern der Versuch, sich vorzustellen, wie dessen Musik, würde sie hier und jetzt geschaffen, klingen könnte. Klar, der Blues trieft aus allen Poren, stampft unaufhaltsam vorwärts, gleichzeitig ziehen ihn Hallschleifen und elektronische Klanghilfen aus dem bekannten Soundbett in beinahe ambiente Klangwelten. Eine gelungene Perpektive, mit dem gebührenden Respekt in die Tat umgesetzt.


Archivtexte Ohrenschmauch

Günter Günter

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