Von Günter, 17.01.2018

IRON AND WINE/ DESTROYER/ LIONA & SERENA STRINGS/ MARIA TORO/ ANDREAS SPECHTL/ CALEXICO/ MOVEMENTS 9

Eine rhetorische Frage vorweg: Sind die opulenten Box-Sets mit dem gesammelten Schaffen von X oder Y, die nebenbei oder hauptsächlich ausser dem bereits bekannten Material meist auch diverse Fehltritte oder -versuche enthalten, wirklich unvermeidlich?

Und ein kleiner Rückgriff. Die jeweils letzten Alben von IRON AND WINE „Beast Epic“ und DESTROYER „Ken“ haben mehr Aufmerksamkeit verdient. Erstere ist gelungene Singer/Songwriter-Musik von kleiner Band, aber mit grossen Songs. Vielleicht etwas zu verhalten für diese aggressive Zeit.

Der Destroyer orientiert sich in Stil und Sound erkennbar an den 80ern ohne dabei der Nachahmung anheim zu fallen. Gekonnt gestrickte Songs in klaren Arrangements und passendem Handwerk. Die sind beide in der herbstlichen Flut etwas untergegangen.

Tradition und Moderne

Diese Flut ist im Moment eher ein Rinnsal. Gelegenheit für Musik vom Rand der Ränder. LIONA & SERENA STRINGS haben sich mit „Sefarad“ der sehr alten Tradition der Judeo-Spanischen Lieder verschrieben. Seit etwa dem 15. Jahrhundert gibt es diese Musik der aus Spanien und Portugal geflüchteten Juden. Es gibt schon lange CDs, die sich mit diesem Genre befassen, Liona und ihre Strings lösen sich allerdings mehr als andere von der traditionellen Wiedergabe und komponieren passende neue Melodien zu überlieferten Texten. Mit Violine, Cello, Gitarre und Gesang plus Gäste erschaffen sie eine entspannte, leicht melancholische Atmosphäre, lassen die vermutlich eher traurigen Lieder nicht bedrückend oder tragisch klingen. Die Texte versteht allerdings nur, wer Ladino, die Sprache dieser Geflüchteten beherrscht.


Zeitgemässer Jazz

Bereits 2013 hat MARIA TORO ihr „A Contraluz“ in New York eingespielt. Erst jetzt erscheint es hier. Sie spielt Querflöte, meist im Quintett. Nicht auf schön und beschaulich getrimmt, sondern Jazz, modern bis frei. Bekanntester Mitstreiter in ihrem wechselnden Ensemble ist Jean-Michel Pilc am Piano. Sie verfasst ihre Musik selbst und beweist bei der Auswahl ihrer Kollegen ein gutes Händchen. Sei es der genannte Tastenmann oder auch der Flamenco Gitarrist, der 2 der Titel veredelt. Gesang gibt es hier nicht, dafür ausgeklügelte instrumentale Arbeit und raffinierte solistische Interpretationen des gegebenen Themas. Kein grosser Name, aber grosse Musik.


Electronic Art!

Vom Bureau B aus Berlin kommt unaufhaltsam Neues aus der Elektronik-Ecke. ANDREAS SPECHTL’s „Thinking about tomorrow and how to build it“ pendelt zwischen getragenen, flächigen Sounds und minimalen beinahe Pop-Songs mit Gesang. In Teheran und Berlin im Alleingang aufgenommen, gestaltet er sein Werk sehr Kurzweilig, im Wechsel zwischen ambienten, abstrakten Momenten und erkennbar ausgelebten Songstrukturen.


Ferner freue ich mich schon auf das neue Album von CALEXICO (26.1.), von dem ich hoffe, dass es wieder die Faszination der frühen Alben auf mich ausüben wird und natürlich, 1 Woche später, auf den 9. Soul-Party-Tanz-Sampler der Reihe „MOVEMENTS“ vom fleissigen TRAMP Team. Fühlt dem Händler Eurer Wahl ruhig schon frühzeitig auf den Zahn, schliesslich gibt es nur in der Erstauflage der Doppel-LP (CD gibt es natürlich auch..) eine 7 Zoll Single als Bonus. Der Download-Code ist sowieso dabei. Nebenbei bemerkt, das TRAMP Team feiert in diesem Jahr sein 40. Bestehen. Das ist mehr als respektabel, ein Energie- und Enthusiasmus Marathon. Ein grosses Dankeschön für zig Titel, die ohne Euch; zumindest auf CD oder LP gesammelt; hier nie die Oberfläche erreicht hätten.

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Günter Günter

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