Von Günter, 28.08.2019

CARLOS CIPA/ SHARDS/ YOUSSOU N’DOUR/ MADISON CUNNINGHAM/ ALLMAN BETTS BAND

Von gestern bis übermorgen

Na gut. Das schwierigste zuerst. Im Sinne von Komplex. Der Münchener Pianist und Komponist CARLOS CIPA bringt auf seinem „Retronyms“ verschiedenste musikalische und technische Ansätze zusammen. Er, selbst an diversen Tasteninstrumenten, von Piano über Harmonium und Fender Rhodes zum digitalen Keyboard, erweitert das Klangspektrum um Holz- und Blechbläser, Geräusche aus analogen und digitalen Quellen und schafft mit penibler Genauigkeit gepaart mit spontaner Improvisationskunst eine spannungsreiche Variante Minimal Music. Akustik und Elektronik, Komposition und Improvisation, analog und digital sehr behutsam miteinander verwoben zu einem durchgängig wohlklingenden und trotzdem eher ungewohnten Klangbild. Ein äusserst gelungener Versuch, klassisches Kompositions-Wissen und zeitgenössische Klänge für den Blick in eine musikalische Zukunft zu verbinden.


Chor mal ganz anders

Und gleich noch eine für trainierte und neugierige Ohren. Auf „Find Sound“ werden die Stimmen des 12 köpfigen gemischten Chores SHARDS nur gelegentlich von Synthesizer oder Perkussion ergänzt. Sehr eigenwillige Kompositionen für Stimmen nenne ich es mal. Die SängerInnen erzeugen Stimmungen, singen selten erkennbaren Text, werden verfremdet, erzeugen Klang. Von mystisch zu dramatisch zu warm und hoffnungsfroh. Das hat mit den gewohnten Stereotypen von Chor-Gesang wenig zu tun. Zuhören, ein intensives Abenteuer ohne Risiko.


Lockerer als lange vorher

Sehr viel leichter zugänglich ist da das neue Album von YOUSSOU N’DOUR. Mit interessanten Gästen (u.a. Seinabo Sey und der Legende Babatunde Olatunji) gestaltet er sein „History“ auch für das nicht-afrikanische Ohr locker und nachvollziehbar. Die vielen Jahre im ‚Ausland‘ und die daraus resultierenden Zusammenarbeiten mit MusikerInnen aller Kontinente waren und sind die optimale Voraussetzung für seinen internationalen Sound, in dem m/f jedoch seine Herkunft jederzeit eindeutig erkennen kann. Ein neues ‚7 Seconds’ ist nicht darunter, aber einige exzellente Vorlagen für Bewegungshungrige.


Für das Massenpublikum ist ihre CD ganz klar viel zu diffizil und reserviert. Dafür wartet MADISON CUNNINGHAM auf ihrem (für mich…) Erstling „Who are you now“ mit einigen gekonnt reserviert arrangierten Rock-Songs auf, deren Reihe sie mit intensiven Balladen und dann und wann etwas Country-Feeling auflockert. Stimme und Gesang wechseln von souverän, wie Madeleine Peyroux, zu introvertiert und zaghaft, wie zuweilen Suzanne Vega. 10 kleine, überwiegend selbst verfasste Geschichten, von der Band adäquat intoniert und von Madison ernst, glaubhaft und auf den Punkt vorgetragen.

Wie war das noch? „Die ich rief die Geister…..“ Die ALLMAN BETTS BAND ist da. Und es sind nicht die Geister der Verstorbenen, sondern die Söhne. Und was für Musik liefern die auf „Down to the River“? Richtig, wie die alten Sungen, so jammen auch die Jungen. Südstaaten-Rock. Zig Vergleiche böten sich an, aber kurz gesagt, natürlich ist diese Musik auch ein Geschäftsmodell (andere übrigens auch..), aber diese nächste Generation kopiert nicht einfach, sie leben diesen Sound, gemischt aus Country Harmonien, souligen Vocals und fettem Blues-basiertem Groove. Auf 9 Tracks, die nicht so lang sind, wie’s die Väter vorgaben, zeigen sie die aktuelle Seite dieser Musik, in krachenden Rockern wie in feinen Balladen. Dass sie Gitarre(n) spielen können steht ja wohl ausser Frage, und für die Aufnahmen begaben sie sich nach (wo ist der Sound am echtesten?) Muscle Shoals. Herr Google erklärt das gern, oder auch die Doppel LP „Muscle Shoals – Small Town, Big Sound.

Archivtexte Ohrenschmauch

Günter Günter

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