Von Günter, 19.02.2020

NOTORISCHE REFLEXE/ WANUBALÉ/ CHE APALACHE/ ENRIQUE HEREDIA NEGRI/ DARIUS HEID & FERDINAND SCHWARZ/ CROWD COMPANY

Die 8. Woche des neuen Jahres läuft und ich greif mal wieder auf 2019 zurück. Überhört, übersehen oder in der Menge untergegangen. Menschen, die schon in den 80ern Plattenspieler oder Laufwerk bedienen konnten, erinnern sich vielleicht an eine der kultigsten und kurzlebigsten New Wave / No Wave Combos, die sich nannte NOTORISCHE REFLEXE. Zwischen Pop, Afro, Elektronik und Experiment waren ihre Bühnenshows ein echtes Erlebnis. Das einzige Album, ohne Titel, gibt es seit Dezember als Neuauflage in beiden Formaten und wegen der wilden Erinnerung mit einem extra Track (Live!) ergänzt. M/F beachte besonders die Titel der Songs!

Längst nicht so alt, aber schon im September ausgeliefert, ist das 1. Album von WANUBALÉ. Eine der wenigen nicht geradlinig auf den Club / Dancefloor zielenden Produktionen aus dem Haus agogo. Mit 9 Musikern ausgestattet finden sich auf „Phosphenes“ 8 Titel der Abteilung Fusion Jazz. Die jazzige Arbeitsweise angereichert mit Rock, Funk oder Afro, auch mal mit viel solistischem Einsatz und vertrackten Rhythmen, die gut aus den End 70ern stammen könnten. Die flexible Rhythmusgruppe schafft den stabilen Boden für fliessende Bläsersätze und ambitionierte Einzelleistungen.

Che oder Apalache?

Wenn ein amerikanisches Quartett sich ausrüstet mit Gesang, Fiddle, Mandoline, Banjo und akustischer Gitarre, welche Klänge werden die wohl erzeugen. Höchstwahrscheinlich Bluegrass. Wenn allerdings Bela Fleck das Album produziert, müssen die Herren von CHE APALACHE schon einen speziellen Ansatz haben. Sie spielen nur selbst Komponiertes. Und noch dazu mit kräftig beigemischten Gewürzen aus anderen Kulturen. Kubanische Rhythmen, argentinische Milonga, Anspielungen auf alten Jazz, Japan, Blues. Mit den genannten 4 Instrumenten ohne Tricks und doppelten Boden zeigt „Rearrange my Heart“ ein offenes Ohr für die Welt, in der die Heimat-Musik gleichzeitig unüberhörbar vertreten ist.


Bolero, solo

Boleros sind im Prinzip sentimental-romantische Schmachtfetzen in spanischer Sprache, die mit grosser Geste, grossem Drama vorgetragen werden. Mit mindestens kleiner Combo, häufiger mit opulentem Streicher-Background und über Jahrzehnte erfolgreicher Teil der Populär-Musik. Das liest sich eventuell despektierlich, ist überhaupt nicht so gemeint. Jetzt zu ENRIQUE HEREDIA NEGRI, der sich als Pianist und Sänger um einige Perlen dieses Genres kümmert, zwischen die er ein paar selbst komponierte platziert und eine auf das Minimum abgespeckte Variante vorlegt. „Bolero solo“ kann übersetzt werden mit ‚nur Boleros‘, besser aber mit ‚ich interpretiere sie im Alleingang am Piano. Im ersten Titel hat er als Stimme einen der bekanntesten Interpreten dieser Gattung (Armando Manzanero) dabei, ansonsten singt er selbst und oder lässt auf einzelnen Titeln Gäste an Sax oder Trompete das Arrangement komplettieren. Drama und Verzweiflung bleiben, jedoch ist hier der Hintergrund merklich Jazz geschult und weit weg von schwülstigem Wohlklang. Würde mich als Begleitmusik zu spanischem Essen weit mehr freuen, als das übliche ‚Alexa, mach mal schöne Musik‘!


Eine Jazz Duo Platte mit Piano und Trompete hatte ich hier lange nicht. DARIUS HEID (p) und FERDINAND SCHWARZ (Trompete) improvisieren (mehr und weniger) durch 13 selbst gesteckte Themen, spielen nicht zu frei und nicht zu ‚klassisch‘ geschult. Keine Aufreger, sondern gut 50 Minuten, wenn m/f so will, Meditationen zweier grosser Talente in exzellenter akustischer Umsetzung.

Funk’n’Soul in Hochform

Und einer für die Füsse. Die britische CROWD COMPANY legt mit „Lowdown“ ihr bestes Album bisher vor. In bester 60/70er Jahre Soul- und Funk Tradition, mit wechselnden SängerInnen und 2 Bläsern von Lettuce geht es durch Flottes á la Motown, trockene Anleihen von frühem Philly und sofort verfangende Melodie-Linien. Diese Damen und Herren kennen die Materie, mit der sie arbeiten durch und durch, wissen genau, wann welcher Ton, welcher melodische Dreh, welche Bläserlinie an welche Stelle gehört. Nein, nix Neues, aber mit grosser Leidenschaft und Können in Szene gesetzt.


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