Von Günter, 11.03.2020

JULIA BIEL/ EMIL BRANDQVIST TRIO/ DR. RUBBERFUNK/ SEU JORGE & ROGE/ CLOCK OPERA/ KING KRULE

Allein mit dem Piano

Dass mich ein Album, komplett nur Piano und Gesang, so in den Bann gezogen hat, ist zumindest schon sehr lange her. Mit ihrer bereits 4. Platte wagt JULIA BIEL diesen riskanten Schritt. Kann sie doch sicher sein, damit bestenfalls in Nachtprogrammen der Sender ein wenig Öffentlichkeit zu bekommen. In 9 selbst geschaffenen Balladen und 2 kurzen Zwischenspielen erzählt sie von ihren Erfahrungen und Vorstellungen des Umgangs der Menschen miteinander. „Black and White“ klingt berührend, eindringlich, unbeugsam und einfach nur schön.


Auf eine ganz andere Weise schön (falsches Wort..) ist das neue Werk des EMIL BRANDQVIST TRIO. Emil ist der Drummer und Namensgeber, aber keineswegs der Pol um den alles kreist. Zusammen mit Max Thornberg am Bass sorgt er mit sparsamsten Mitteln für das rhythmisch-harmonische Gerüst, das Tuomas Turunen am Piano und anderen Tasten mit Melodien und Improvisationen ergänzt. Überwiegend eher ruhige, romantische Tonfolgen, aber beherzt zugreifen kann er ebenfalls. Auf einigen Titeln erweitern Gäste an Flöte oder Bass-Klarinette das Klangspektrum, wobei mir besonders die Ballade mit Lisa Langbacka am Akkordeon (The Woods) sehr lange im Ohr hängen geblieben ist. „Entering the Woods“ ist moderner ‚Kammer‘-Jazz eines Trios, dass einen sehr ausgeprägt eigenen Sound-Kosmos kreiert.

Umtriebiger Produzent und Musiker

Mit Dr. RUBBERFUNK und seinem „My life at 45“ verlassen wir die Chill-Zone und nicken mit dem Kopf oder wippen den Fuss. Der Dr. führt uns durch 12 Titel, die alle von Hand eingespielt wurden, ohne den Einsatz der z. Zt. so beliebten Digital-Bausteine. Von geradlinig rockendem Blues über modernen Soul, Retro gesteuerten Instrumentals und Balladen zu knackigem Funk und sogar etwas Psychedelic. Veredelt mit den Stimmen von Izo FitzRoy, Stephanie Whitelock oder John Turrell, Bläsern und Gitarristen, die auf meinem Cover nicht erwähnt werden. Oder spielt er die auch noch selbst, neben seiner Hauptfunktion als Produzent?


Direktschnitt für Analogies

Das ‚absolut handgemacht‘ gilt auf jeden Fall auch für die Zusammenarbeit von SEU JORGE & ROGÈ. Beide singen und spielen Gitarre und werden begleitet von 2 Perkussionisten. Sie versuchen nicht, modisch oder gar modern zu klingen, sondern liefern 7 Songs, die klassisch MPB sind, also brasilianische Pop Musik in der Tradition von Ben, Gil oder Nascimento. Natürlich mit der spezifisch brasilianischen Melancholie im Unterton und den genauso eindeutig anders klingenden Gitarren ihrer Heimat. Keine grosse Produktion, sondern im ‚Direct-to-Disc‘ Verfahren in einem Zug eingespielt, was „Night Dreamer“ zu einem echten ‚Kandidaten‘ für Analog-Fans machen dürfte. Klingt, als sässen die 4 gegenüber Deinem Sofa…


CLOCK OPERA sind im Grunde eine Synthi-Pop Band, die allerdings mit auffällig umfangreichen Analog-Instrumenten hantiert. Das macht die Rhythmus-Spur erheblich flexibler, als m/f es von den meisten programmierten kennt. Dazu kommt ein gutes Gespür für weit gefasste Melodie-Bögen und überraschende Instrumenten-Einsätze. Von gefährlich grummelnden Synthis im Hintergrund zu beinahe kitschigen Balladen loten sie auf „Carousel“ sehr viele Möglichkeiten aus, die sich aus ihrer Dreier-Besetzung und der Möglichkeit im eigenen Studio zu produzieren ergeben.

Für KING KRULEs „Man alive!“ braucht es etwas Stehvermögen. Beginnt mit 3 Tracks melodisch vorgetragener Lyrics vor einem Hintergrund, den ich als Soundscape beschreibe. Archy Marshall, so heisst er, leidet an der Welt, formuliert das (leider etwas nuschelig) jedoch sehr poetisch und ab dem 4. Titel ist der und die geneigte HörerInn schon drin in seinem Kosmos. Richtige Songs, so mit voller Instrumentierung etc. gibt es meist nicht, fragmentarisch tauchen Akkorde und Einzeltöne und ungewöhnliche Klänge auf, die zusammen jedoch ein stimmiges Bild von einer Pop-Musik abgeben, die sich nicht an Streams und Clicks messen will, deren Inhalt viel mehr mit den Werten die wir leben zu tun hat. Unbedingt hören!

Archivtexte Ohrenschmauch

Günter Günter

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