Von Günter, 20.05.2020

WU FEI & AGIGAIL WASHBURN/ MARIA KALANIEMI & EERO GRUNDSTRÖM/ KOZMA ORKESTAR/ SPEEDOMETER/ CHIP WICKHAM

Es überrascht mich immer wieder, mit welchem Mut und Elan Künstler, Labels und Vertriebe sich an Produktionen wagen, bei denen von vornherein feststeht, dass die Verkaufserlöse den getätigten ideellen, körperlichen und finanziellen Aufwand nicht einspielen werden. Auf der anderen Seite waren es immer wieder solche Produktionen, die meine Neugierde auf Musik seit (ich nenne keine Zahl..) gefühlter Ewigkeit wach gehalten haben.

China & USA gemeinsam!

Als da sind z.B. WU FEI & ABIGAIL WASHBURN, beide singen, Wu spielt Guzheng (sieht aus, wie eine grössere Zither), Abigail das Banjo. Auf dieser CD verquicken die beiden traditionelle chinesische Musik unterschiedlichster Provinzen mit Melodien und Spielweisen ur-amerikanischer Herkunft. Das mag auf den ersten Blick zu Fragezeichen im Kopf führen, hört m/f den zwei Virtuosen jedoch genauer zu, stellt sich schnell heraus, dass Musik unbedingt eine universelle Sprache ist, die, wie weit voneinander sie auch entstanden sein mag, mehr Berührungspunkte hat als Trennendes. M/F höre als überzeugenden Einstieg ‚Banjo Guzheng picking Girls‘ oder das 8-minütige ‚The Roving Cowboy / Avarguli‘. Für jetzt Neugierige: Produziert hat das ganze Bela Fleck für Smithsonian Folkways, die sind eine Stiftung und müssen kein Geld verdienen, deshalb können sie dem Produkt auch ein 40-seitiges Booklet mit wissenswerten Informationen beilegen.


Genauso ungewöhnlich, allerdings nicht ganz so unerwartet, ist die finnische Akkordeonistin in Folk-Musik-Kreisen doch schon seit langem unterwegs. „Mielo“ ist, wenn meine ‚graue Zellen Statistik‘ nicht lügt, die 2. CD von MARIA KALANIEMI & EERO GRUNDSTRÖM. In sieben Titeln mit gut 40 Minuten Laufzeit umspielen sie die von ihr vorkomponierten Themen, wobei sein transportables Harmonium den ruhigen Kontrast bildet zu ihren fingerfertigen Ausflügen in die Natur, geprägt von der musikalischen Tradition und einem guten Gefühl für eingängige Motive und Spannung. Auch diese CD konnte nur produziert werden mit Geldern aus verschiedenen Kultur-Stiftungen.

Für diese trifft das Intro jedoch mit voller Härte zu. Das 7-köpfige KOZMA ORKESTAR bedient sich für seine Ausflüge in die Welt der Grooves vornehmlich musikalischer Vorlagen vom Balkan. Keine Saiten-Instrumente, abgesehen von ein wenig Ukulele, dazu Akkordeon und Schlagzeug, dafür Tuba, Saxofone, Trompete und Klarinette. „Gra“, so der Titel des Werks, lebt nicht vom auch bei uns beliebten Tempo, sondern vom Bass-lastigen Rhythmus der Tuba, der von den anderen Bläsern mal individuell, mal im Satz umspielt wird. Den Blick über den Tellerrand hinaus schaffen sie nicht nur mit den pfiffigen Arrangements, ein wenig Klezmer und eine ausgesprochen lebendige Cumbia runden den Eindruck dieses Brassbeat betonten Silberlings ab.

Retro-Funk in Vollausstattung

SPEEDOMETER sind seit gut 20 Jahren im Geschäft. Begonnen haben sie als Cover-Band für Soul- und Funk-Klassiker. Mittlerweile sind sie gern gebuchte Back-up Band und schreiben ihr eigenes Material. „Our Kind of Movement“ ist bereits das 5. Album und präsentiert die grosse Bandbreite des für dieses Werk auf 11 Mitwirkende aufgestockte Ensemble plus spezifische Stimmen für die Tracks mit Gesang. Zwischen Motown-infizierten Titeln, Afro-Beat Grooves und knackigem Funk bewegen sich Bläser, Sitar(!), Hammond und die stramme Rhythmusgruppe gekonnt im Fahrwasser der Retro-Welle, finden dabei jedoch ihre ganz eigene moderne Spur.


Auf den Spuren von Alice und Yusef?

Nach Titel 1 könnte m/f meinen, endlich wieder auf eine nicht langweilige Chillout-Kompilation gestossen zu sein. Weit gefehlt, CHIP WICKHAM’s Universum reicht mindestens von der Arbeit mit Nightmares on Wax zu den New Mastersounds und bis ganz nah an Matthew Halsall. So geht es nach dem entspannten Intro gleich in seine bevorzugte Variante von ‚Spiritual Jazz‘. Die kleine akustische Combo (Ausnahme die Keyboards) bereitet einen sehr inspirierten Boden für seine Ausflüge auf der Flöte, kriegt dabei genügend Gelegenheit individuelle Farben in diese bewusst ruhig gehaltene Klangmalerei einzubringen. „Blue to Red“ so der Titel, ist seine Befürchtung, dass aus unserem bislang blauen Planeten durch menschliche Unvernunft ein roter Planet wird wie der Mars.


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