Von Günter, 27.05.2020

JERRY PAPER/ NAHKO AND MEDICINE FOR THE PEOPLE/ CHATHAM COUNTY LINE/ MOBY/ SELAH SUE/ UTE LEMPER

Schräg und gut

Irgendwie mag ich diesen etwas verschrobenen Sound der Marke Stones Throw. In diesem Fall ist es die neue CD von Lucas Nathan unter dem Projektnamen JERRY PAPERS. Auch sein „Abracadabra“ hat fast durchgängig diesen an 60ies Soul (aber nur erinnernden) Sound, konventionelle Instrumente im Einklang mit elektronischen Keyboards, deren Rhythmen mich an ins Wurlitzer Piano eingebaute erinnert. Dazu zarte Balladen und etwas Westküsten-Flair plus seine wandlungsfähige Stimme mit den gelegentlich abstrusen Texten. Leichte Unterhaltung gut gemacht.


Auf seinem bereits 5. Album kriegt er die Kurve. Nicht zu viel in einen Song packen, seien es Ideen, Instrumente, Texte oder Arrangement. So werden die Themen greifbarer, nachvollziehbarer. Es war ein langer Weg für NAHKO AND MEDICINE FOR THE PEOPLE, wie er sein Ensemble nennt, aber „Take Your Power back“ ist das mehr als respektable Ergebnis der Auszeit, die er sich genommen hat, um sich selbst wieder zu finden, nach Jahren der Termin-Hetze. Und die Musik? Mit warmer Stimme trägt er die selbst geschriebenen Texte vor zu einer ausgewogenen Mischung aus gut gestyltem Pop mit einer Spur Soul. Ab und an scheint seine indianische Abstammung durch.

Keine Newcomer heute? Auch die hier sind schon 20 Jahre im Geschäft, wagen es aber trotzdem, ihre Richtung auffällig zu ändern. Umbesetzung nach Ende der Aufnahmen, das Gründungsmitglied an einem der Banjos geht, dafür gibt es erstmalig Drums auf allen Tracks. CHATHAM COUNTY LINE sind in der Bluegrass-Welt eine grosse Nummer, für „Strange Fascination“ öffnen sie die Türen aber weit für traditionelle Country-Einflüsse. Das Drum-Set sorgt für eine deutliche Spur dessen, was wir als Americana vermarkten. Und Balladen mit allem drum und dran (Fiddle, Banjo, Harmonika) können sie, wie kaum jemand anderes, da hilft Sharon van Etten gern mal zu einem Duett aus.

Und dann ist da noch MOBY. Der alte Hase unter den Elektronik-Pop-Musikern dreht bei seinem neuen Werk kräftig an den vorhandenen Knöpfen. Überwiegend fette, gerade Beats, mit denen er sicher den einen oder anderen Re-Mixer herausfordert. Macht alles selbst, ausser singen, dafür nutz er die Stimmen von Apollo Jane, Mindy Jones und für ein kurzes Intro ein Sample von Linton Kwesi Johnson. Den dazugehörigen Song erkenne ich in der Fassung kaum wieder, genau wie Bryan Ferrys ‚My only Love‘. Selbst die softeren Titel haben flottes Tempo unterlegt. Abgerundet wird das Ganze durch seine nach wie vor weichen, melodischen Keyboard-Streicher-Flächen. „All visible Objects“ ist kurzweilig vielseitig, wohl sein gelungenster Streich seit ‚Play‘.

Junge Mutter

Nur kurz, weil die EP auch nicht lang ist. Die „Bedroom EP“ von SELAH SUE enthält nur 5 Titel. Zurückhaltend produziert, nur Gitarre, dezente Electronics von Kwes und ihre nach wie vor auffällige Stimme. 5 Tracks, aufrichtig und zutiefst persönlich verkürzen die Wartezeit bis zu ihrem nächsten Album.


Local Lady makes good!

Es kann sicher auch anstrengend sein, wenn regelmässig der Vergleich oder die Anspielung fällt. Es ist auf jeden Fall aber auch immer eine gute Geschäfts-Grundlage. Der lange Arm des Marketing hat es sogar in die WN geschafft, hier kommt die neue CD von UTE LEMPER. Ihr „Rendezvous with Marlene“ ist vollgepackt mit 20 Liedern aus dem grossen Fundus der Ikone. Geschöpft aus den verschiedenen Kapiteln deren beeindruckenden Lebens. Hier geht es allerdings nicht um simple Imitationen, Ute macht sowohl die ‚Hymnen‘ als auch weniger gespielte Titel zu ihren eigenen. Dank des kreativen Bandleaders und Arrangeurs Vana Gierig, der sie seit Jahren kennt und begleitet, kriegen selbst beinahe zu viel gehörte Melodien in dieser Zusammenarbeit und mit Utes Interpretation neue Farbe. Emotion, Pathos, Stil, alles wohl dosiert, ob zum Klavier oder mit opulentem Streicher-Background.


Archivtexte Ohrenschmauch

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