Von Günter, 16.09.2020

47SOUL/ INGER LISE STULIEN/ MAMMAL HANDS/ LEANDRO SAINT-HILL QUARTET/ SÖHNE MANNHEIMS JAZZ DEPARTMENT/ DHALGREN

Shamstep aus Palestina

Noch 14 Ausgaben bis Jahresende. Kurz und schmerzlos. 47SOUL, in Jordanien gestartet und mittlerweile weltweit unterwegs, legen eine neue CD vor. Ihren Mix aus Hip Hop und Elektronika, gemischt mit Melodie, Stil und Instrumenten der heimischen Musik des Nahen Ostens, nennen sie ‚Shamstep‘, füllen die rhythmisch variablen Beats auf „Semitics“ mit wechselnden Vocals und politischer Botschaft, die ich allerdings nur in den überwiegend englisch-sprachigen Texten verstehe. Temporeich, dynamisch, tanzflächentauglich mit offenem Auge und Ohr für die Welt.


Dagegen vergleichsweise brav und konservativ kommt „Nashville“ das Country Album von INGER LISE STULIEN daher. Eigentlich ‚nur‘ acht Pop-lastige Country Songs, selbst geschaffen und entsprechend authentisch gesungen, überzeugt das Album in erster Linie durch die wirklich hervorragende Instrumentierung und den exzellenten Sound.
Die musikalische Bandbreite der MAMMAL HANDS kriege ich mit wenigen Worten kaum auf den Punkt. Mit Drums/Tabla, Piano und Saxofonen/Bassklarinette plus Electronics erzeugt dieser Dreier ein Klang-Universum in dem sich Momente aus Jazz, Minimalismus und World Music nicht nur finden lassen, sondern auf sehr individuelle Weise miteinander Im Austausch stehen. Ob in den temporeichen Tracks oder den eher balladesken Titeln, es gibt immer eine Melodie zu finden, den flexiblen Rhythmus zu verfolgen und sich vom inspirierten Spiel der 3 Instrumentalisten wegtragen zu lassen. „Captured Spirits“, Momente von Spiritual Jazz, indischen Mustern, Improvisation und gemeinsamem treibenden Groove. Eine absolut überzeugende Interpretation des Themas Trio-Jazz im 3. Jahrtausend.

Cuban Jazz

Mal wieder was Kubanisches. Dieses Mal keine heimischen Klassiker in neuem Gewand, sondern selbst komponiertes Material, in dem sich die typischen Rhythmen (Rumba, Son, Habanera..) in Gestalt einer beseelt spielenden Jazz-Combo wieder finden. Der Namensgeber des LEANDRO SAINT-HILL QUARTET spielt Sax, Flöte, Klarinette und singt gelegentlich, dazu Piano, Bass, Drums und diverse Gäste für spezifische Aufgaben. „Cadencias“ belebt die traditionellen Rhythmen neu ohne dabei den Charme, die Harmonien oder auch die Gesangslinien der Vergangenheit aus den Augen zu verlieren. Kein Zwang unbedingt echt kubanisch klingen zu müssen, schon gar nicht auch für den Salsa Tanzkurs geeignet zu sein, sondern einfach dem Drang der Musiker-Herzen nachgeben, auch wenn nicht allen Beteiligten diese Musik schon mit der Muttermilch verabreicht wurde.


SÖHNE MANNHEIMS JAZZ DEPARTMENT nennt sich das elektrisch ausgestattete Quartett plus Gast an den Tasten und führt in 2 eigenen und 8 Titeln aus dem Schaffen eines Herrn Naidoo das Material mit ‚kleinem Besteck‘ in die Nähe von, wer erinnert sich, Working Week. Sängerin mit grosser Stimme und Ausdruck, Musiker mit goldenem Handwerk. Langsamer, mit einer Spur Pop und Soul den alten Hüten eine interessante neue Krempe angenäht.

Nicht verpassen!

Wirklich gut informierte Menschen (zu denen ich mich nicht zähle..) kennen ihn vielleicht aus dem Umfeld von Anthony Braxton, er hat in NY mit den grossen Namen des Jazz improvisiert. Jetzt lebt Chris Dahlgren in Berlin und hat sich nebenbei zum Singer/Songwriter verwandelt. Mit seiner 5 köpfigen Band DHALGREN intoniert er seine „Songs from a dystopian Utopia“. Schon die Ausstattung der Band mit Kontrabass, Vibraphon, Viola da Gamba, el. Gitarre und Drums lässt ungewöhnliche Klänge vermuten. Richtig so, passend zu seinen etwas surrealen Texten spielt die Combo eher Jazz-orientiert. Welcher Sänger verziert schon den Eröffnungstrack mit einem Kontrabass-Solo? Insgesamt halten sich die Instrumentalisten sehr zurück, schaffen Raum für Chris‘ mehr flüsternden Gesang und füllen die grossen Lücken zwischen den Textzeilen mit wenigen, effektiven Tönen. Mit melancholischem Unterton, gebremstem Optimismus und einem lange nicht so gehörten (Begleit-) Gitarristen brennt sich diese CD (auch LP) seit Tagen in meine Gehörgänge. Gibt es auch im Stream, also bitte, auf keinen Fall verpassen!


Archivtexte Ohrenschmauch

Günter Günter

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