Von Günter, 07.10.2020

DAVID SOYZA QUARTETT/ EUGEN CICERO/ BEN KUNDER/ AIDAN KNIGHT

Komme mir niemand mit dem Vorwurf: „Ach, ist wahrscheinlich Bar Jazz!“ Der Leader des DAVID SOYZA QUARTETTs spielt Vibrafon. Mit Rhythmusgruppe und Gitarre als 2. Harmonie-Instrument ist die Entfernung zu der Unterstellung nicht weit. Richtig ist, diese vier Herren spielen meist im Bereich des Wohlklangs, wobei sie um ausufernde Improvisationen keinen Bogen machen. Swing ist meist das Ding, fette 60er Jazz-Grooves gibt es ebenfalls, der Saiten-Mann weiss, was zu welchem Beat geht und unisono mit dem Vibrafon gefallen mir beide am besten. „Taking the Lead“, Band-Boss zu sein ist für dieses Instrument nicht Standard aber hier sinnvoll.

Frisch nach 55 Jahren

Als dieses Werk auf den Markt kam, war die ‚Play Bach‘ Reihe sehr erfolgreich schon bei Folge 5 angekommen. Eine von 2 ‚Neuheiten‘ dieses Monats aus dem umfangreichen Back Katalog des deutschen MPS Labels kommt jetzt mit „Rokoko-Jazz“ von EUGEN CICERO technisch optimiert in beiden Formaten auf den Markt. Mit 6 Adaptionen klassischer Werke spielte sich der rumänische Pianist mit Bass und Schlagzeug in Herz und Hirn sowohl der Jazz- als auch der Klassik-Gemeinde seiner Zeit. Ob Bach, Mozart, Scarlatti oder Couperin, Cicero verstümmelte die Originale nicht, sondern setzte sie in rasantes Swing-Tempo, übersetzte die Vorlagen mit brilliantem Handwerk und gebührendem Respekt vor den Kompositionen. Das ist jetzt fast 55 Jahre her, trotzdem haben diese Aufnahmen nichts von ihrem Reiz und ihrer Frische eingebüsst. Anspieltipp ‚Bach’s softly Sunrise‘. Gibt es bestimmt auch gestreamt, aber vermutlich nicht in der Soundqualität dieser hervorragend aufgefrischten CD/LP.


Woran liegt es, dass jüngst viel und gutes Musik-Material aus Kanada bei uns aufschlägt? Produzieren die 3 übrig gebliebenen ‚Majors‘ in USA nur noch für täglich neue Klick-Rekorde von Namen, die in der nächsten Woche niemand erinnert?

Realität aus Kanada

BEN KUNDER legt mit „Searching for the Stranger“ bereits sein 3. Album vor. Die anderen beiden kenne ich bisher nicht, deshalb kann ich über die Qualität dieses Albums überrascht sein. Mit sanfter Stimme trägt er seine Beobachtungen und Schlüsse über das und sein Leben vor, mal schwelgerisch gross instrumentiert oder auch romantisch mit Pedal Steel Gitarre, von seinen Begleitern dezent aber bestimmt unterstützt. Es kann auch mal ein nicht offensiv eingesetztes Riff à la Tom Petty sein, meist bleibt er jedoch im langsamen Tempo, fein ausgewogen zwischen überzeugendem Pathos und überlebtem Drama. Musikalisch nicht neu, aber ich will auch keine Gimmicks, sondern reale Menschen.


4 Jahre Feinarbeit

Noch einen Schritt näher an Pop wagt sich AIDAN KNIGHT. Seine 4. Platte. Ohne Titel. Die anderen 3 kenne ich auch in diesem Fall nicht. Er selbst sagt, auf dieser CD/LP ist fast alles, was in den letzten 50 Jahren ‚Pop‘ passiert ist und ihn geprägt hat zu finden. Das stimmt. Bis auf Drums und Bass und das Streicher-Ensemble spielt er alle Instrumente selbst und singt dazu etwas zurückgenommen. Arrangements und Harmonien mit Ähnlichkeiten zu Searchers, Beatles, Neil Young und spät 70er sind also kein Zufall. Trotzdem klingt das Album ganz eindeutig nach ihm selbst, nach ein wenig Sehnsucht nach der analogen Zeit mit deutlichem Fingerzeig, dass nicht jeder Fortschritt wirklich zum Wohl der Menschheit beigetragen hat.


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