Von Günter, 21.10.2020

TOTAL HIP REPLACEMENT/ GROUPA/ BASTIEN KEB/ HARRI STOJKA

Die richtige Platte zur falschen Jahreszeit. Das Lieblings-Motiv, Meer, Strand, Palmen als Intro zum Kommentar einer zu neuen Reggae Platte, gibt’s hier nicht. Die 6 Dänen mit insgesamt 13 Gästen nennen sich TOTAL HIP REPLACEMENT und bewegen sich äusserst gekonnt durch diverse Stile des jamaikanischen Rhythmus-Modells. Der Hauptsänger spielt auch Posaune (kenne ich das von irgendwo, Dr. Ring Ding?), 2 weitere Bläser, Keyboards, Drums und Gitarre gehören zur Stammbesetzung, Lücken (Bass!), mehr Stimmen und weitere Bläser rekrutierten sie aus dem Freundeskreis ihrer hippen Family. So klingen sie von Roots bis Ragga, mit ein wenig Dub und leichten Parallelen zu UB40 (in deren Frühzeit). Texte nicht ‚Rasta‘, eher kritisch mit Zeit und Umständen ist „Bliss“ eine hörenswerte Pop-Reggae Platte mit dem richtigen Groove, gekonnten Bläsersätzen und durchweg positiver Grundstimmung.

Groupa – Trad. Folk trifft freie Geister

Schon die beiden Vorgänger-Werke haben mich begeistert. Die dritte in der Reihe „Kind of Folk“ beeindruckt mich noch mehr. Jonas Simonson, Mats Eden und Terje Isungset sind GROUPA. Anerkannte Grössen im Jazz, erforschen sie (Vol. 1-Schweden, Vol. 2 Norwegen) die jeweilige heimatliche Folklore, entnehmen Motive und verarbeiten sie frei gestaltet zu jazzigen Improvisationen. Akustisch instrumentiert mit Flöten, Streich-Instrumenten und Perkussion wenden sie sich im 3. Anlauf der traditionellen Musik Islands zu. Dieses Mal auf einigen Tracks verstärkt durch heimische Musiker an elektrischem Bass und Gitarre plus Sängerin, entwickeln sie auf 14 Tracks aus dem Insel-Fundus einen Klang von World-Jazz, der von Anfang bis Ende fasziniert. Sei es die häufig dominant eingesetzte Maultrommel (Mouthharp), die mit Unterstützung der Basstrommel wie ein Didgeridoo klingt, die Fiddle, die ein Motiv originalgetreu vorstellt um das Thema danach frei zu interpretieren oder die Sängerin, die auf 2 Titeln eine fast sakrale Stimmung hervorruft. Groupa führen älteste Melodien in sensiblem Umgang in einen neuen Zusammenhang. Da freue ich mich schon auf Folge 4.


Bastien Keb – Film für die Ohren

Das hier ist ein Spielfilm für die Ohren. Kein Soundtrack, sondern frei nach Jack Bruce’s „Theme for an imaginary Western“. Ist allerdings auch kein Western. 18 Titel, manche nur kurzes Zwischenspiel, eine Ode an den Film Noire in verschiedensten Klang-Kompositionen. BASTIEN KEB’s drittes Werk lebt von der Vielschichtigkeit seiner ‚Musik-Stückchen‘. Der Erzähler führt durch die Geschichte, vorbei an instrumentalen Passagen, bedrohlichen Stimmungen, souligen Klängen, wunderschönen Songs und allerlei Geräuschen, die die akustischen Bilder vervollständigen. Bastien spielt alle Instrumente selbst, für Texte, Vocals und die Violine im letzten Track hat er Hilfe von Freund*innen im Einsatz. Geschmackvoll sparsam arrangiert, warm und weich gemixt (fast wie analog..) entwirft er auf „The Killing of Eugene Peeps“ einen musikalischen Kosmos, der mit Ideen von den späten, psychedelischen 60ern über Jazz, Soul und Downbeat bis zu zeitgenössischem Indie-Folk gefüllt ist. Für so viel Fantasie brauchen andere mindestens eine ganze Band.


Harri Stojka – Wildes Wiederhören

Unkaputtbar? Schwer zu sagen, aber seine Finger flitzen seit gut 50 Jahren über die mindestens 6 Saiten. Er ist nicht festgelegt, spielte mit indischen Musikern, mit Gypsies und es gibt sogar ein Album mit Songs der Beatles von ihm. Jetzt, 50 Jahre nach Jimi Hendrix‘ Tod, wagt sich HARRI STOJKA an „Salut to Jimi Hendrix“. 10 Songs aus dem Schaffen der Legende plus 4 eigene Schöpfungen. Den Bass spielt er ebenfalls, Hilfe gibt es nur von Trommler Sigi Meier. Die Hendrix Tracks kennen wir alten Säcke im Grunde auswendig, für junge Menschen ist diese Musik wahrscheinlich so weit weg, wie der Mond. Nichtsdestotrotz stürzt sich Harri mit Leib und Seele in diese Klassiker, gewinnt manchen Riffs eine neue Seite ab, ist in Sound, Technik und Geräuschentwicklung ähnlich kreativ wie das Vorbild, spielt aber die Gitarre einer anderen Marke. Kenner werden es sofort hören, einfach nur Musikbegeisterte beeindruckt Harri durch seine Spielfreude und die virtuosen handwerklichen Fähigkeiten. Muss Mann lange für üben. Frau auch.


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