Von Günter, 04.11.2020

JULIA KAROSI/ ELWINS/ AZYMUTH/ STRACHO TEMELKOVSKI

Früher war alles besser? Das gilt zumindest für die Dinge um die Mann und Frau sich zu der Zeit intensiver gekümmert haben. Waren es einst Eule, Evergreen oder Odeon, die halfen interessanter Musik mehr Öffentlichkeit zu verschaffen, lassen sich die ‚kritischen‘ Ohren von damals jetzt vermutlich von Format-und Hit-Radio oder dem ausgewählten Streaming-Portal fernsteuern. Die geben alles vor, entscheiden über Hit oder Niete und m/f muss nicht einmal nennenswert Geld dafür ausgeben. Aber auch da, wer sich nicht kümmert, kriegt nur selten spannendes Neues vorgebetet.

Julia Karosi – Beeindruckende Atmosphäre

JULIA KAROSI wird mit ihrem „Without Dimensions“ sicher keinen vorderen Platz in den ‚Neu‘- Vorschlägen einnehmen. Dabei bietet sie mit ihrem Quartett, erweitert um den Gitarristen Ben Monder eine hochkomplexe, spannende Mischung aus eigenen Kreationen, etwas Tradition und ganz viel Bezug auf die beiden wichtigsten Komponisten ihrer Heimat Ungarn. Mit ausgebildeter Stimme und virtuosem Können am Piano führt sie die Combo durch Adaptionen von Bartok und Kodaly, von frei bis balladesk, bindet sich in die sensible Arbeit ihrer Kollegen ein, beschwört mit ihrem Gesang bisweilen fast sakrale Töne und umschifft gekonnt Vokal-Jazz übliche Stereotypen. Das auffälligste an diesem Werk ist neben den handwerklichen Qualitäten der Beteiligten die Stimmung, die Atmosphäre, die sie mit gemeinschaftlicher Konzentration und Intuition schaffen. Ja, richtig gelesen, das ist nicht nur gehobene Unterhaltung, das ist Jazz!


Auf „IV“ von den ELWINS geht es im Vergleich ziemlich geradlinig vorwärts. Sänger mit äusserst markanter Stimme, dazu klassische Rockband Besetzung und Gäste. Klingt für mich, als würden die vier neben ihrer Arbeit in der Band, immerhin die 4. Platte in zehn Jahren, viel Zeit in Plattenläden verbringen. Bevorzugt Second Hand und sehr interessiert an 70ern und Rock der 80er. Nicht dass sie irgendwen kopieren, dafür haben sie aus den Zutaten ein zu eigenständiges Gebräu entwickelt. Aber die Strukturen, die Arrangements und auch das eine oder andere Riff wecken Erinnerungen.

Azymuth – Stimmt ja gar nicht!

Bislang ging ich davon aus, dass nach dem Tode ihres Keyborders 2012 die Karriere von AZYMUTH beendet war. Neben der Arbeit auf unzähligen(?) Platten brasilianischer Künstler seit den späten 60ern produzierten sie selbst mehr als 20 Platten. Mit dem neuen Mann an den Tasten, Kiko Continentinho, starten sie in das 5. Jahrzehnt ihrer Mischung aus heimischem Samba, Jazz und Funk. Mit an Bord auf „Jazz is Dead“ (Nr. 4 in der gleichnamigen Reihe) sind der Multi-Instrumentalist Adrian Younge und ex A Tribe called Quest Mann Ali Shaheed Muhammad. So organisch, wie die das Album klingt, wurde es vermutlich ganz altmodisch analog aufgenommen. Die messerscharfe Kälte der Digitaltechnik hätte dem trotz aller Einflüsse von anderswo deutlich nach Brasil klingenden Werk sicher nicht gut getan. Hier demonstrieren 2 Altmeister des komplexen Rhythmus ganz entspannt ihre Fähigkeiten und schaffen den Melodie-Instrumenten die ideale Basis für Ausflüge in harmonische Sphären. Den richtigen ‚soulful‘ Groove haben sie längst verinnerlicht.


Wenn der Bass ein Riff vorlegt, das auch von einem Didgeridoo stammen könnte, dazu eine spanische Gitarre improvisiert und aus dem Hintergrund die arabische Flöte die Überleitung zum Einsatz der Sitar spielt, dann ist es…. World Music. STRACHO TEMELKOVSKI und seine 10 ‚Brüder im Sound‘ aus Europa, Arabien, Afrika und Indien verwirklichen auf „The Sound Braka“ ihre Vorstellung von Musik kennt keine Grenzen. Und bedienen sich dabei keineswegs aus traditionellen Mustern. Klar, die Instrumente klingen wie sie klingen, regional, national, lokal, aber das was sie spielen ist eindeutig auf der Halde Jazz gewachsen. Ob Akkordeon, Tuba oder Synthesizer, die Riffs, Tonfolgen, Rhythmen und Harmonien werden gestreckt, gebogen, ausgefranst und wieder zu einer wohlklingenden Einheit zusammengesetzt. Tango und Balkan, New Orleans und Salsa, diese und andere Verquickungen habe ich bisher so nicht gehört. Überraschung des Jahres!


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