Von Günter, 09.12.2020

BERLIN/ SVÄNG/ THE HAGUE – SONGBOOK EXCHANGE/ MARTIN KOHLSTEDT/ YUMI ITO

Ohne Intro direkt in die 80er. In komplett rekonstruierter Original-Besetzung plus grosses Orchester intonieren BERLIN ihre wichtigsten Stücke der Karriere neu. Terri’s Stimme klingt einen Deut tiefer, dafür haben ihre Kollegen das Instrumentarium ihrer Erfolge entstaubt und wieder in Betrieb genommen. Natürlich fehlt auf „Strings attached“ der Ohrwurm ‚Take my Breath away‘ nicht.

Wirklich nicht ‚mein‘ Instrument, aber die vier vom SVÄNG Harmonika-Quartett schaffen es immer wieder auf diese Seite. „In Trad we trust“ ist gefüllt mit Liedern aus der finnischen Folklore / Tradition. Songs, die normalerweise auf Fiddle, Kantele oder Akkordeon vorgetragen werden, arrangieren diese Herren für 4 Harmonikas. Jeder neue Wurf von Sväng ist auf seine Weise faszinierend.

Eine spannende Variante des Themas ‚Trikot-Tausch‘ bietet der Sampler „THE HAGUE - SONGBOOK EXCHANGE“. Auf 2 CDs gibt es je 10 Titel, auf Platte 1 stammen die Songs von ‚Electronic Music‘ Komponisten, werden aber von Jazz Interpreten oder Ensembles interpretiert, auf Platte 2 ist es umgekehrt. Von Schönklang bis Experiment, von Roni Size bis mindestens Matthew Herbert reicht die Bandbreite von ausschliesslich Künstler*innen aus Den Haag.

Martin Kohlstedt – Allein am Klavier

Dem Experiment nicht abgeneigt ist MARTIN KOHLSTEDT. Nach vielbeachteten Werken im Zusammenwirken mit Elektronika oder Chören geht er auf „Flur“ zurück an die Basis. Ein Mann, ein Klavier. Minimaler Ansatz, detailverliebte Figuren und rundum harmonisch angelegt. Vielleicht ist es sein sanfter Anschlag, eventuell das Instrument (Blüthner Grand Piano, Bj. 1915) oder seine Wohnung im Dachgeschoss, in der er das Werk im Alleingang aufgenommen hat, die das Piano so ausgewogen und weich klingen lässt. Zarte Vogelstimmen, Windgeräusche und Regentropfen, die mit aufs Band(?) geraten sind, lassen die Aufnahmen noch persönlicher, intimer klingen. Intelligente Klavier-Musik zwischen allen Stühlen.


Yumi Ito – Stimme, Mut und Fantasie

Ganz und gar ungewöhnlich sind die Kompositionen, Klangfarben und die Instrumentierung auf YUMI ITO’s „Stardust Crystals“. Mit grossem Ensemble, Rhythmusgruppe plus Flöte und Saxofonen, Streichinstrumenten und Vibrafon intoniert sie ihre selbst erdachten Texte, Melodien und Rhythmen. Die bewegen sich in wirklich grossem Rahmen von ange-jazzt bis avantgardistisch. Gleich zu Anfang, im Titelsong, schwingen sich ihre Stimme und Musik mühelos von Ähnlichkeiten zu Björk über Grüsse an die scattende Ella zum kräftigen Ausdruck von Annie Lennox, während die Combo fliegend von Streicher-Begleitung in einen handgespielten Breakbeat verfällt und sich genauso selbstverständlich wieder zurück in zartesten Harfen- und Vibrafon-Tönen verliert. Ist das Pop, Jazz, impressionistische Kammermusik? Diese Unterscheidungen sind ihr offen hörbar fremd, sie sieht sich mehr als kreative Stimme derer, die oft nicht gehört werden. In Zeiten der Vereinzelung unserer Gesellschaft weist sie mit ihrer Musik auf die Schönheit und Einzigartigkeit unseres Planeten hin und auf den Wert von Gemeinsamkeit, Respekt und Zusammenhalt. Selbst an Stellen des Albums, auf denen es abstrakt zugeht.


Archivtexte Ohrenschmauch

Günter Günter

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