Ohrenschmauch
Von Günter, 08.09.2021
MICHAEL PUBLIG/ EVA QUARTET/ J.P. HARRIS/ DARRIN BRADBURY/ WINDISCH TRIO/ TITO JACKSON/ MADI DIAZ/ ACCORDION AFFAIRS
Heute muss die Würze mal mit der Kürze zurechtkommen. „Caliente“ ist nicht nur Titel, sondern der Name von MICHAEL PUBLIG ’s Quartett, mit dem er spanisch-amerikanische Harmonien und Rhythmen mit kubanischem Rhythmuspfeffer in beinahe kammermusikalischer Intimität intoniert.
Das EVA QUARTET bedient sich aus der Tradition der heimischen Volksmusik. Ganz ohne Instrumente leben diese 4 Frauen die Magie der bulgarischen Stimmen.
Ebenso traditionell und doch modern: J.P. HARRIS sucht und findet seine Songs an der Schnittstelle oder Überlagerung von amerikanischer Old Time Music und Bluegrass. Mit Partner James McCoy und diversen Banjos (fretless!?), ein wenig elektrifizierter Gitarre, Fiddles und Gesang rekonstruieren sie oft nur mündlich überliefertes Material so ‚Live‘ wie möglich, statt Perfektion lieber Authentizität.
Musikalisch breiter aufgestellt klingt DARRIN BRADBURY ’s „Advertising“ stark nach Bands des Saddle Creek Labels, ein wenig frühem Punk und durchaus konventionellem Songwriter-Pop à la Bruce oder Tom. Humorvoll und sich selbst nicht zu ernst zu nehmend beschreibt er seinen Alltag, sein Umfeld und nicht zuletzt die Schallplatten-Industrie.
Schon Nr. 89 in Jazz Thing’s Next Generation. Das WINDISCH TRIO aus Julius Windisch am Piano, Igor Spallati am Bass und Fermin Merlo an den Drums durchlebt auf „Pros & Cons“ 9 eigene Kompositionen. Durchlebt, weil Komponist und Leader die harmonische Basis vorgibt um mit seinen Mitstreitern zusammen Struktur und Rhythmus intuitiv weiter zu entwickeln und zu verändern. Das führt sowohl durch balladeske Klanglandschaften als auch zu progressiven bis freien Interpretationen. Alles innerhalb einer durchaus traditionellen Piano-Trio Ästhetik.
Michael’s Bruder TITO JACKSON überrascht mich mit einem exzellenten Album voller Blues-Modifikationen. Mit hervorragenden Bläser-Arrangements und regelmässiger Erweiterung des bekannten Chicago Musters gibt’s trotz Vorgabe Blues vielseitige Tunes, die sich deutlich positiv von der populären Ausführung als Hard Rock abheben. Eine illustre Gästeschar aus u.a. Kenny Neal, Stevie Wonder, George Benson und Joe Bonamassa hilft ihm auf „Under Your Spell“, das Gewünschte in perfektem Handwerk umzusetzen.
Selten habe ich ein so persönliches, fast intimes Statement über den Zustand des eigenen Lebens in musikalischer Form gehört. MADI DIAZ singt sich Kummer, Trauer und Wut aus der Seele. In überwiegend ruhigen Songs mit treffend sparsamer Instrumentierung spürt m/f ihre Unsicherheit, Zerrissenheit und die Hoffnung, irgendwann doch von dieser Last befreit zu sein. Ihr „History of a Feeling“ erinnert mich in Gesang und Klang an die junge Joni, allerdings im Habitus des 3. Jahrtausends.
Das zitiere ich gern aus dem Waschzettel: „Dies ist kein ‚Experten-Jazz‘, sondern World Music im besten Sinne“ sagt der Drummer der ACCORDIAN AFFAIRS . Pop, Klassik, Tango, Jazz, findet sich in der Songauswahl auf „Le petit Oiseau“, von Lennon über Carla Bley zu J.S. Bach. Liebevoll und feinsinnig in Szene gesetzt von einem Trio aus erfahrenen Musikern, deren gemeinsame individuelle Interpretation und Improvisation der vorgegebenen Themen Leichtigkeit und Wärme ausströmen. Dass der Akkordeonist zusätzlich formidabel Klavier spielt, rundet die sensiblen Variationen der Originale perfekt ab. Die Lust der drei am musikalischen Umgang miteinander lässt sich in jeder Sekunde spüren.