Von Günter, 19.10.2011

CAFÉ SOLAIRE 19/ WOLFGANG FRISCH/ ROLAND BALOGH/ BAKER BOYS/ MIGHTY MOCAMBOS/ DYNAMICS

Nachhaltigster neuer Fakt aus der vergangenen Woche bleibt für mich, dass wir es im vergangenen Jahr geschafft haben, die Zahl der Milliardäre in diesem Land auf über 100 zu schrauben. Sicher schwingt in dem Satz etwas Neid mit, aber viel mehr der Gedanke an die Millionen Werktätigen, die täglich dafür sorgen, dass in unserem schönen Land die Räder so laufen, das solche Ergebnisse zumindest für wenige möglich sind.

Frisch verfeinerte Roots

Deshalb auch sofort etwas zur Zerstreuung nach des Tages Mühen: „CAFÉ SOLAIRE 19“. Nach einer etwas unsicheren und wohl deshalb nicht so stimmigen Phase in den mittleren Folgen nach 10 geht es seit der letzten deutlich richtungsstabil weiter. Platte 1 hat WILLIAM HARLEY, eine Hälfte der House Giganten HARLEY & MUSCLE, zusammengestellt. Ganz im Gegensatz zu seinen ansonsten Beat-betonten Kompilationen packt er hier 16 Tracks hintereinander, die mindestens der CAFÉ DEL MAR Serie das Wasser reichen können. Mit sparsamen Keyboards, wenn, dann sehr dezenten Klangflächen und gelegentlich auch schönen Stimm-Einsätzen gestaltet er mehr als 1 Stunde abwechslungsreicher musikalischer Unterhaltung. Das funktioniert sicher bei richtiger Sonne noch besser, aber die meisten von uns haben hoffentlich Thermostaten, mit denen sie die Temperatur auch mal anheben können. Auf Platte 2 mixt LEO LIPPOLIS, der Resident DJ der CAFÉ SOLAIRE Partys, die schwungvolle House-Variante. Er meidet den üblichen Tanzboden-Stuff und orientiert seine Auswahl erkennbar an frühem Deep House- und Garage-Sound. Rundum gelungen.


Im Text nächste Woche!

Als erfolgreichen Soundbastler aus Wien kennt der und die Eingeweihte WOLFGANG FRISCH vielleicht als Teil der SOFA SURFERS. Auch er hat den nächsten Schritt vollzogen. Fette Beats unter kurzen Harmonien sind auf die lange Distanz kaum spannend zu halten. Entsprechend klingt sein „Watering the Land“ beinahe wie ein Folkalbum mit nur minimalem Elektronik-Einsatz. Dafür legt er sehr viel Wert auf die akustischen Instrumente in angemessen feinen Arrangements und auf die richtige Stimme für den jeweiligen Titel. Klar, so ganz ohne die Beats geht es nicht, aber sie sind nur ein Teil, das Gewicht liegt auf Klängen und Stimmen. Lektion gelernt und spannend umgesetzt.


Funkier than a Mosquito’s Tweeter

Außer GABOR SZABO fällt mir aus dem Stand kein ungarischer Jazz Gitarrist ein. Und der ging früh in die USA und tauschte dort seine Roots gegen Groove und Funk. Ob es ROLAND BALOGH ähnlich gehen wird, stellt sich noch heraus, sein „Twins Effect“ Album lässt keinen eindeutigen Schluss zu. Fingerfertigkeit und Ton irgendwo zwischen Herrn ABERCROMBIE und vielleicht dem frühen AL DI MEOLA, an dessen (Backup-)Combos sich auch seine Band orientiert. Gelegentlich sehe ich RETURN TO FOREVER um die Ecke grinsen, die hätten sicher viel Spaß daran, das jemand ihren Faden wieder aufnimmt. Zwischendurch bricht ROLAND’s „Gipsy Blood“ durch, um direkt wieder unter der Oberfläche zu verschwinden. Kein alter Hut mit neuer Krempe, sondern eine gute alte Idee mit neuem Leben erfüllt.


Platz wird knapp! Die BAKER BOYS, 10 Jahre im Geschäft, ihr 7. Album „Time to Testify“. Wie soll ich‘s nennen? Zwischen Rare Groove, Acid Jazz und zackigem Funk switchen sie ohne handwerkliche Unzulänglichkeiten hin und her, mit Gitarre, Bass, Schlagzeug und 2 Bläsern gelingen ihnen scheinbar mühelos 16 zwingende, mindestens Fußwipper.

Solche gibt es in Deutschland auch! Die MIGHTY MOCAMBOS, einigen in Erinnerung aus der erfolgreichen Zusammenarbeit mit GIZELLE SMITH. Als Vergleich kann die AVERAGE WHITE BAND herangezogen werden, die waren jedoch nie so „dirty“. Das geht ab, mindestens wie die JB’s in Hochform und wenn AFRICA BAMBAATA seine rhythmischen Shouts noch dazu wirft, bleibt ganz sicher kein Fuß ruhig stehen. Mit 8 Mann hoch plus Gästen kann m/f natürlich auch ein ordentliches Fass aufmachen, und das tun sie. Perfekt für den „Rare“ Freitag im GASOLIN.

Zum Finale noch ein Favorit. Die DYNAMICS, die Könige der ungewöhnlichen Cover-Versionen legen nach mehr als 4 Jahren ihr 2. Album vor. „180.000 Miles & Counting“ startet oberfunky mit EDDIE HARRIS‘ „Money“ um direkt danach in feinstem Roots Reggae mit Gesang á la JUNIOR MURVIN fortzufahren. Reggae ist das Stamm-Metier der Franzosen, sie kennen und mögen offensichtlich aber auch diverses Anderes. LOU REED, MICHEL POLNAREFF (noch geläufig?), Afro-Beat, Dub, leichter Popsong etwas angeschrägt; diese Herren (und gelegentlich auch Damen) zeigen ihre Freude am Musizieren und können wohl deshalb auch jeden fremden Song zu einem sehr eigenen machen. Kurzweilig, handwerklich ausgeklügelt, hoch konzentriert aber mit feinem Humor. Dringend empfohlen!

Na Dann. Tschüss! i.m.trend@muenster.de

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