Ohrenschmauch
Von Günter, 26.07.2017
MARINAH/ VARGAS BLUES BAND/ FLOATING POINT/ MINCO EGGERSMAN/ AFRIKÄN PROTOKOLL/ WESLEY GONZALEZ/ THE AMERICANS/ GAYE SU AKYOL
Einmal um die Welt in weniger als 4000 Zeichen. Auf geht’s. MARINAH hat mich schon in der Vergangenheit mit ihrer sehr persönlichen Mischung aus Flamenco und Pop überrascht. Für „Afrolaito“ dehnt sie den Horizont weiter bis in die Karibik. Klar, Flamenco Tonfall vorn, mit etwas Reggae, Pop, Latin und ein wenig Kuba abgeschmeckt. Nicht alle Titel sind so hervorragend, wie das Cover, aber bei den heutigen Temperaturen kommt die sowohl mit echten Bläsern als auch mit programmierten Sounds gestrickte Mischung sehr gut.
Nicht nur in der Altumstrasse und Ostbevern zelebriert m/f den Blues. In Spanien arbeitet sich die VARGAS BLUES BAND schon sehr lange an diesem Thema ab. „Cambalache & Bronca“ ist mehr, als ‚nur‘ eine Blues CD. Beginnt mit heftigen Rockern á la Zeppelin oder Purple, kommt in der Mitte der CD auch mal mit beinahe der Romantik von Eros R. oder den akustischen Latin-Klängen vom alten Carlos um sich dann zum Ende deutlicher dem genannten Genre anzunähern. Mit Slide Gitarre, feinen Soli in langsamem und auch flotterem Tempo.
Es folgen 2 Landschaftsbeschreibungen, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten. Mit „Reflections“ erforschen FLOATING POINT (Sam Shepherd) den Klang der Mojave Wüste, im Joshua Tree Valley. Die Band probte und in der Wüste aufgestellte Mikros nahmen die Reflexionen der Felsformationen auf. Diese Effekte wurden dann den 4 Songs wieder zugemischt. Eigentlich keine Songs, eher vergleichbar mit der Live-Abteilung von ‚Ummagumma‘, Klänge, Jams, 2 lange, 2 kurze, die sich mal zu experimentellem Rock verdichten, mal sphärisch aus den Lautsprechern strömen. Feines Experiment!
„Kavkasia“ (Kaukasus) hat MINCO EGGERSMAN sein aktuelles Werk benannt. Nach einem längeren Aufenthalt vor Ort, mit viel Natur, von deren rauer Schönheit im Booklet einiges zu erkennen ist. Zum grossen Teil voll orchestriert mit Piano als Leit-Instrument (ein wenig Talk Talk) über ein fast ECM (Garbarek) mässiges Saxofon trifft Streicher, mit flotter Herzschlag Beat untermalt Violine und wenig Gesang (im Stil von David Sylvian) versucht er die Landschaft in Musik zu beschreiben. Könnte fast unter ‚neue Klassik‘ eingestuft werden.
Das in Belgien lebende Sextett AFRIKÄN PROTOKOLL bietet auf seinem „Beyond the Grid“ einen sehr rhythmischen Einblick in diverse afrikanische Stile. Westafrikanische Idiome, Klänge aus der Sahara und natürlich auch Afro Beat. Viel Perkussion und starke Bläser, die offensichtlich europäische Schulung absolviert haben.
Mit WESLEY GONZALEZ „Excellent Musician“ kommen Erinnerungen an die britischen 60ies auf. Kinks, Hollies… allerdings nicht im Retro Look, sondern mit einem fast punkigen Ansatz im Zerlegen des gerade begonnenen Rhythmus oder der just gelungenen Melodie. Vielleicht liegt es an der ‚altmodischen‘ Orgel, auf jeden Fall versucht er, nicht unbedingt schön, dafür umso spannender zu klingen. Themen und Arrangements erinnern mich bisweilen an die beste Zeit von XTC.
Und eine richtig gute Gitarrenband ist heute auch dabei! Der dreier aus Los Angeles nennt sich THE AMERICANS und das nicht zu Unrecht. Sie bringen gerade heraus die besten Tugenden der US Rock Musik auf den Tisch. Klasse Songs, solides bis besseres Handwerk und die Vehemenz, den Druck, der mir bei vielen neueren Bands fehlt. Wer will, entdeckt hier Parallelen von Chuck Berry über Bruce zu Tom Petty und sogar Tom Waits. Selten war ich in letzter Zeit so angetan von Gitarre, Bass, Drums.
Wer da glaubt, türkische Pop-Musik sei genau so gleich geschaltet, wie der grössere Teil der Einwohner höre GAYE SU AKYOL und ihr „Hologram Imparatorlugu“. Harmonisch klar in der Tradition, aber musikalisch mit vielen Wassern der näheren und weitern Umgebung gewaschen. Jedes Mal, wenn m/f glaubt jetzt startet der Bauchtanz-(oder Animier-Kursus) schlägt die Musik einen Haken, Twang Gitarren, programmierte Beats und andere Überraschungen. Hat natürlich Glitterhouse für uns entdeckt.