Ohrenschmauch
Von Günter, 27.03.2019
DUO BOTTASS & SIMONE SIMS LONGO/ TRISTAN DRIESSENS & ROBBE KIECKENS/ DANIEL THORNE/ GESAFFELSTEIN/ YOUN SUN NAH/ DAVID GRAY
Ähnlich wie ihre nordischen Kollegen der Groupa (Heft 6/2019) schöpft das italienische DUO BOTTASSO mit Gast SIMONE SIMS LONGO aus dem Topf heimischer Tradition, interpretiert diese aber in ganz eigener Art. Zwischen fast freien Improvisationen und melodischer Treffsicherheit scheint grosse Handwerkskunst an Blasinstrumenten, Elektronik und Organetta plus eine grosse Wertschätzung musikalischen Klanges durch, den Einsatz eines Kinderchores eingeschlossen. „Biserta a altre Storie“ ist als Filmmusik zu der Dokumentation ‚Biserta. Storia a Spirale‘ entstanden, nach dem von den Künstlern genannten Motto: Wenn die Politik spaltet, Vertrauen verraten wird, ist es die Kunst, die Wunden heilt und den Traum von Freiheit, nicht nur bei jungen Menschen, am Leben hält.
Mit noch weniger Instrumenten lassen TRISTAN DRIESSENS & ROBBE KIECKENS ihre „Blue Silence“ erklingen. Praktisch nur mit Oud und Handtrommel meditieren sie durch Themen, die überwiegend oriental eingefärbt sind. Kurze Gastauftritte von befreundeten MusikerInnen in beinahe jedem Titel geben dabei noch etwas Würze extra. Nimmt das Tempo aus dem Tag.
Mit den wuchtigen Elektronik-Klängen seiner Kompositionen schafft DANIEL THORNE kräftige Stimmungsbilder. Eine oft verfremdete Orgel legt Melodiestreifen über die simulierte, schroff klingende Streicher Eskapaden in andere Sphären ausführen. Auch der Minimalismus und freier Jazz sind nicht spurlos an ihm vorbeigegangen. Ich kann die 6 Titel auf „Lines of Sight“ auch als kleine sinfonische Kompositionen beschreiben, die allerdings fast komplett auf die ursprünglich dafür vorgesehenen Instrumente verzichtet.
Ob seine Fans diesen Spagat nachvollziehen können? Der französische DJ, Musiker und Produzent GESAFFELSTEIN wird eigentlich für seine etwas düsteren Elektronik-Sounds geliebt. Sein „Hyperion“ enthält davon recht wenig, dafür gibt’s muntere Spielereien mit kleinen Melodie-Mustern, ein paar instrumentale Anspielungen auf sein früheres Schaffen und 4 Tracks mit namhaften GastsängerInnen (Weeknd, The Hacker, Haim, Pharrel Williams), die ihn weit in die Gefilde Pop bis Funk tragen. Und diese Tracks sind echte Ohrwürmer. Sparsam auf den Punkt gebracht und mit ‚Lost in the Fire‘ auch schon erfolgreich an neuem Publikum getestet. Da hat seine Mitwirkung bei u.a. Kanye West oder Daft Punk auch bei ihm nachhaltig gewirkt.
Ihre sehr eigene Art, Gesang in den musikalischen Kontext einzufügen, hat ihr weltweit bereits viel Aufmerksamkeit beschert. Auch wenn es lange gedauert hat. Mit „Immersion“ vollzieht YOUN SUN NAH einen richtigen Schritt weg aus ihrer bisherigen musikalischen Umgebung. Neue Musiker, neuer Produzent, neues Label und ein neuer Ansatz. Jazz ist nicht der Vorsatz, sondern das Ergebnis. Mit nur 2 Begleitern an sowohl konventionellen Instrumenten, als auch an Elektronika plus einem Bassisten auf 2 Tracks trägt sie ihre Geschichten mit unterschiedlichster Intensität vor. Von flüsterndem Sprechgesang bis zur trainierten Opernstimme legt sie die grosse Bandbreite ihrer Möglichkeiten in ihr neues, unbedingt hörenswertes Werk.
Nach seinen beiden letzten Alben hatte ich DAVID GRAY fast ‚abgeschrieben‘. Für „Gold in a Brass Age“ hat er sich ein wenig neu erfunden. Seine Stimme, sein Gesang, seine ‚Markenzeichen‘, sind immer noch aussergewöhnlich, aber für dieses Werk hat er sich ganz neu gepolt. Neben den ‚echten‘ Instrumenten arbeitet er sparsam mit elektronischen Hintergründen, fein abgestimmt auf seine Texte, die mit zunehmendem Alter noch an Ernst und Aussagekraft gewonnen haben. Sanfte Melodien, dezente Arrangements und seine auffällige Stimme, in diesem Fall eine tolle Mischung.