Ohrenschmauch
Von Günter, 05.06.2019
COLLETTIVO DECANTER/ BETTY CARTER/ MARIOLA MEMBRIVES/ BRANDT BAUER FRICK/ JULIAN BOSSERT TRIO
Eine weitere kleine Bande ‚verrückter‘ Italiener ist das COLLETTIVO DECANTER. 2 Damen, 2 Herren plus einige Gäste musizieren auf diversen Instrumenten, von Kalimba bis Dudelsack, bedienen sich bei ihren Kompositionen an traditionellen Rhythmen und Harmonien und versuchen gar nicht, bis zum Pop-Ufer weiter zu schwimmen. Überzeugte Folk-Freaks, die ihr Schaffen sogar auf CD und international verbreiten. Keine kunstvolle Vokal-Akrobatik, einfach eine klare Stimme, die von den jeweilig Beteiligten mit variantenreicher Instrumentierung unterstützt wird. Leider verstehe ich zu wenig italienisch, um zu wissen, wer „Emilia d’Hercole“ ist oder war, die dem Album den Titel gegeben hat.
Die lose Reihe ‚Jazz at Lincoln Center‘ wird fortgesetzt mit dem Mitschnitt des Konzerts von BETTY CARTER aus dem Jahr 1992. „The Music never stops“ ist nicht nur eine fulminante Live Platte, sondern gleichzeitig ein repräsentativer Querschnitt durch ihr Repertoire und ihre musikalischen und gesanglichen Fähigkeiten. In 13 wohl ausgesuchten Titeln, eigene Gewächse, bekannte und weniger bekannte aus dem ‚American Songbook‘, überzeugt sie als herausragende Stimme und Interpretin auch anspruchsvollster Arrangements. Sei es zum Piano (mit Geri Allen), vor Trio (mit Cyrus Chestnut) oder von Big Band und zusätzlichen Streichern angefeuert, sie beherrscht die Szene, fordert den Begleitern volles Engagement ab und legt selbst ihr ganzes Können in die Ausführung. Kein ‚Sonnenschein-Jazz‘ oder Easy Listening, auch wenn m/f das erst auf den 2. Blick feststellt.
Wie diese Kombination zustande gekommen ist, wüsste ich gern. MARIOLA MEMBRIVES singt ‚Lorca, Spanish Songs‘ und wird dabei auf einer oder mehr Gitarren begleitet von Marc Ribot. Flamenco Stil und spanische Tradition prägen den Gesang und den Tonfall. Durch Herrn Ribots einfühlsame Begleitung, trotz meist elektrischer Gitarre, bekommt diese Mischung eine ausgesprochen universelle Aussage, selbst wenn m/f, wie ich, von den Texten nur wenig versteht. Dass er einen Zugang zur ‚Latin‘-Seele hat, bewies er zuletzt mit seinen Widerstandsliedern und schon viel früher mit seinen Postizos Cubanos. Diese Neuinterpretation darf sich sicher mit der Ersteinspielung von 1931 messen.
BRANDT BAUER FRICK melden sich mit einem neuen Album zurück. „Echo“ hat all das, was die Vorgänger auch schon durchscheinen liessen. Zusammengesetzt aus der Summe von 10 Jahren Versuchsanordnung. Fette Beats, in langsamem oder auch flottem Tempo, Keyboards und Loops mit Tonfolgen, die das minimalistische Kooyannisquatsi vorbeirauschen lassen, 4 to the Floor Beats für den Club, Ostinatos, die Raum schaffen für kleine Instrumentenausflüge und auf 2 Titeln mit Gesang (von Gästen) garniert. Das präparierte Klavier über treibender Rhythmusspur erinnert bisweilen an EST. Das ganze Werk lebt von der ungeheuren Lebendigkeit und dem Druck, den die 11 Titel verbreiten, ihrer positiven Unruhe ihrem Vorwärtsdrang.
Gegen einen solchen bunten Mix aus Stilen und Ideen kommt die CD „Dead Beat, Bad Deed“ des JULIAN BOSSERT TRIO fast einsilbig daher. Diese drei huldigen mit Sax, Bass und Drums der Reduktion. Nicht forsche Ideen und komplexe Konstruktionen stehen hier im Mittelpunkt, sondern das aufmerksame Hören auf die Kollegen, der gezielt sparsame Einsatz der Töne und ein jederzeit erkennbarer Fluss des gemeinsamen Musizierens. Dabei könnte leicht wohlklingender ‚Barjazz‘ herauskommen, was das Trio aber durch geschickt gesetzte Unterbrechungen in den 8 Titeln, alles Eigengewächsen, zu vermeiden weiss. Ein weich rollender Bass, Schlagzeug-Arbeit mit viel Becken und gekonnte Tonfolgen und Melodien vom Saxofon. Paul Desmond ich hör Dich trapsen…