Von Günter, 18.03.2020

ROBERT GLASPER/ SAM GENDEL/ EIVIND AARSET & JAN BANG/ AL DiMEOLA/ YOUNG GUN SILVER FOX/ DOUGLAS DARE

R’N’B Jazz Mixtape

In dieser Woche gibt’s als erstes ein Mixtape. Ein sehr spezielles. ROBERT GLASPER hat sich die Rhythmusgruppe seines gefeierten ‚Black Radio‘ erneut ins Studio eingeladen, dazu eine gute Handvoll weiterer Instrumentalisten, Soundbastler und zahlreiche WortkünstlerInnen. Klingt sehr spontan, der ‚harte Kern‘ gibt kantige Grooves und Melodie-Fetzen vor, auf 2 Tracks hört m/f Herbie Hancock an den Tasten und immer wieder die Weltsicht von Bilal, Andra Day und den weiteren beteiligten Stimmen. Es geht nahtlos von einem Track in den nächsten, von denen m/f glauben kann, sie wären vorher nicht exakt abgesprochen worden. Experimentell, durchaus unkonventionell, politisch ganz sicher und absichtlich nicht immer korrekt, ist „Fuck Yo Feelings“ immer durchtränkt von einer Idee des Jazz, den Klang der Zeit abzubilden und Strukturen zu hinterfragen.


Abgefahrenes Experiment

War das die eher körperlich orientierte Variante, bietet SAM GENDEL mit seinem Trio auf „Satin Doll“ die fast gegensätzliche Version. Warum das 11 millionste Saxofon-Solo jammen, wenn es auch ganz anders geht? So hat er mit seinen Mitstreitern an Bass und elektronischer Perkussion Klassikern aus der Jazz-Historie, von Ellington über Mingus zu Miles und weiteren ein gänzlich neues Outfit verpasst. Das Saxofon erkennt m/f fast nicht, die elektronischen Beats (nicht programmiert…) zerstückeln die Rhythmen, der Bass gibt meist wenige tiefe Töne dazu. Das klingt genauso gewöhnungsbedürftig, wie es sich liest, ist aber endlich ein wirklich anderer Ansatz, altbewährten Standards ganz neues Leben einzuhauchen ohne sie zu entwürdigen. Würde ich gern Live sehen!


Eine weiteres Experiment in Ton und Technik bringen EIVIND AARSET & JAN BANG mit ihrem „Snow catches on her Eyelashes“ ins Rennen. Eivinds Gitarren- und Bass-Spiel elektronisch bearbeitet und verfremdet, Jans Sample- und Schnitttechnik auf einzelnen Titeln mit konventionellen Klängen ergänzt, schaffen eine eher dunkle Stimmung, die jedoch nie in düster oder bedrohlich umschlägt. Ambient Music? Ja sicher, aber eben nicht Schönklang um des Schönklangs Willen, sondern eine weitere Studie der beiden, dass musikalische Finesse nicht nur auf das handwerkliche Können an Saiten, Tasten oder Sticks bezogen sein muss..

Apropos handwerkliches Können. Sein Teufelsrennen auf der spanischen Autobahn vergisst er nie. Auch auf seinem 2. Beatles Tribute Album „Across the Universe“ bringt AL DiMEOLA seine ultraschnellen Fingerübungen unter. Und er macht alles selbst, bis auf Streicher, Bläser und einen kleinen Teil der Handtrommeln. Natürlich fügt er seine artistischen Fähigkeiten auf den Saiten in die 14 ausgewählten Songs ein, das geht jedoch nicht soweit, dass m/f die Titel nicht sofort wiedererkennt.

Westcoast Pop vom Feinsten

Auch YOUNG GUN SILVER FOX fischen in der Vergangenheit. Nicht nach Songs, sondern nach Sounds. Ihr mittlerweile 3. Album „Canyons“ klingt derart authentisch nach dem US West Coast Pop der späten 70er, dass m/f zunächst glauben kann, ein verschollenes Juwel dieser Ära vor sich zu haben. Da denke ich an die Doobies, Hall & Oates und bei den gekonnten Bläsern durchaus auch an Chicago. Schönwetter-Musik von 2 Menschen, die bis auf die Bläser alles selbst machen und diesen Sound offenbar im Blut haben.


Und etwas Melancholie zum Schluss. DOUGLAS DARE erzählt/singt zum Piano poetische Aufarbeitungen seiner Kindheit und Jugend. Schlichte Melodien, die sich sofort einprägen, auf denen er die universellen Themen Liebe, Verlust, Kindheit und Erfahrungen aus seiner eigenen Gefühlswelt verarbeitet. Ruhig, eingängig und mit dem passenden Titel: „Milkteeth“.

Archivtexte Ohrenschmauch

Günter Günter

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