Ohrenschmauch
Von Günter, 01.04.2020
NIGHTMARES LON WAX/ MOSES BOYD/ MAPACHE/ DAVID GRAY/ NO ONES/ KLAUS DOLDINGER
Die Zeit vergeht. Deshalb gibt’s heute mal ein paar Jubiläen. Das legendäre „Smoker’s delight“ Album von NIGHTMARES ON WAX wird in diesen Tagen 25 Jahre alt. Mitte der 90er war es zusammen mit den Sounds von Massive Attack und Portishead das Mass der Dinge in Punkto Vermischung von Funk, Reggae, Dub, Samples und anderer Elektronika. Klingt nach wie vor unübertroffen und überzeugend und kommt jetzt als Doppel LP und -CD neu auf den Markt. Mit extra Tracks und allem, was so eine Neuauflage sinnvoll macht.
Wie weit dessen Einfluss immer noch reicht, lässt sich selbst an „Dark Matter“, dem aktuellen Album des britischen Jazz Drummers und Produzenten MOSES BOYD feststellen. Auch wenn hier die Bandbreite von Jazz-Rock über Afrobeat bis Grime, Funk und Soul reicht. Mit ‚richtigen‘ Musikern, Samples, programmierten Beats und souveränem Überblick gestaltet er 50 Minuten intensiven Hörens am Zeitgeschehen orientierter Musik, die sich in keine Schublade pressen lässt.
Zu sehr viel leiseren Tönen. Das Duo MAPACHE hat eine ganz eigene Vorstellung von Americana. 2 Mann, 2 Gitarren und ab und an Freunde, die im gleichen Haus wohnen, zelebrieren ihre Version von traditioneller Folk (Songwriter) Musik in Zeiten, wie diesen. Geradlinig in Text und Arrangement, schweifen sie mit ihren optimistischen Melodien auch mal in mexikanische Boleros, statten der County-Welt Besuche ab und schwelgen fast in ihren Harmonien. „From Liberty Street“ ist weniger Simon & Garfunkel als viel mehr Everly Brothers, oder, wer’s jünger braucht, getreu dem Motto der Kings of Convenience‚ Leise ist das neue Laut‘.
Noch weniger, 1 Mann und 1 Gitarre mit etwas Elektronik im Hintergrund, und schon sind wir beim nächsten Jubiläum. DAVID GRAY’s Erfolgsalbum „White Ladder“ ist in diesem Jahr 20 Jahre alt. Klingt trotz seiner Einfachheit immer noch frisch, unverbraucht und ehrlich. Klasse Songs mit Texten, die den Nerv treffen. Gibt’s schon seit Februar in mehreren Versionen (1CD/2CD, 2LP/4LP mit extra Tracks, Demos etc.), heutiger Anlass der Erwähnung ist sein Auftritt im Kölner Palladium am 9.4., wo er dieses Album mit grosser Band am einzigen Termin in BRD aufführt.
Und dann sind da noch die Niemands, The NO ONES, klassischer Rock 4er, also 2x Git, Bass, Drums, deren bei uns populärster Mitstreiter sicher R.E.M.‘s Peter Buck ist. Und wie hört sich das an? Für mich eine gelungene Mischung aus den 60er Jahre Byrds und den spät 80er R.E.M. als Eckpunkte, gepaart mit dem etwas schrofferen Sound unserer Zeit. Harmonie und Melodie kommen keineswegs zu kurz, umschiffen die Mainstream-Klippe jedoch problemlos. Aufgenommen wurde das Werk bereits 2017, erscheint erst jetzt und heisst wohl deshalb „The Great lost No Ones Album“.
Zum letzten Jubilar dieser Woche. Sein Projekt Klaus Doldinger’s Motherhood war im Übergang der 60er in die 70er der Versuch, seine jazzige Vergangenheit mit den gerade aufkommenden Verbindungen von Rock zu… in Einklang zu bringen. Praktisch die letzte Vorstufe zum ruhmreichen Outfit Passport. Mit dessen aktueller Besetzung spielt er Titel seiner Motherhood neu ein, 1 Original von 1969 bleibt, wie es war und ans Ende hängt er dann noch den Klassiker ‚Wade in the Water‘ (ausnahmsweise nicht von ihm komponiert) an. Bis Joo Kraus sein Solo hier trompeten darf, hört m/f auf verschiedenen Tracks die Stimmen von Udo L. (aus 1970), Max Mutzke, China Moses und KLAUS DOLDINGER selbst. Dazu noch die Passport Nummer „Locomotive“ mit leichtem Latin Touch. Der Mann ist 84, der grösste Teil der Kompositionen auf „Motherhood“ knapp 50 Jahre alt. Durchaus ein Grund, zufrieden zurück zu blicken, aber vor allem, optimistisch nach vorn.