Ohrenschmauch
Von Günter, 25.05.2011
HELM VAN HAHM/ HECTOR MARTIGNON/ DADO MORONI/ BEN WEBSTER/ TANGHETTO/ PATTY ASCHER/ KARRIN ALLYSON/ MUSIC TO DIE FOR
Das ist zwar schon wieder vergessen, weil ein 2. Platz heutzutage nichts mehr zählt, aber trotzdem ziehe ich meinen Hut vor dem Euro-Publikum und den Jurys. Mein Kandidat, RAPHAEL GUALAZZI, hat beim ESC erheblich besser abgeschnitten, als ich erwartet habe! Ohne Busen, blankes Bein und Choreographie. So geht es hier dann auch weiter.

HELM VAN HAHM ist nicht mal auf (in immerhin1 mal) dem Cover seiner Platte „La Isla“ abgebildet. Gut oder nicht aussehen ist für ihn auch keine Frage. Er spielt akustische Gitarre. Auf der CD ganz allein. Musik mit Wurzeln in diversen Jahrzehnten, Ragtime, Blues, Folklore, Flamenco; alles fließt in seinen sehr melodischen Kompositionen organisch zusammen. Sehr schön, sehr unaufgeregt, wer so gut spielt, der muss sich und seine Kunst nicht vorführen!

Von wenigen Saiten per Hand zu vielen Saiten per Taste. Auch wenn „Second Chance“ bereits das 2. Album für sein aktuelles Label ZOHO ist, war mir der Name HECTOR MARTIGNON nicht wirklich geläufig. Im Prinzip im Quintett, allerdings in wechselnder Formation und gern auch schon mal mit „1 Mann mehr“ präsentiert der kolumbianische Pianist seine Vorstellung von zeitgemäßem Latin Jazz. Die amerikanische Schule (Swing) ist nicht zu überhören, aber er flicht ganz unaufdringlich Rhythmen und Melodien seiner Heimat und der karibischen Nachbarn ein. In den besten Momenten kommen Erinnerungen an WAYNE SHORTER’s erstes Solo-Album in/nach seiner WEATHER REPORT Zeit auf.
Weiter ohne Gesang. Auch der Name DADO MORONI ist mir noch kein Begriff. Obwohl Jazz-Pianist und Italiener wurde sein Album (CD plus DVD!, die ich noch nicht gesehen habe..) „Live in Beverly Hills“ aufgenommen. Wenn dieser Ort auch noch keinen klangvollen Namen in der Jazz-Historie hat, das hier ist richtiger Jazz. Schwungvoll, raffiniert, handwerklich erstklassig, dafür sorgen auch Bassist MARCO PANASCIA und Drummer PETER ERSKINE, treibend, swingend und sehr melodisch begibt sich das Trio auf 8 recht lange Exkursion durch Eigenkompositionen des Namensgebers, Traditionals und Titel von geschätzten Kollegen (JOHN LEWIS vom MJQ, RON CARTER).Also keine Sorge, trotz Trio kein Bar-Jazz, eher im Sinne von CHICK COREA’s „Captain Marvel“.

Heute kanzelt m/f sie sicher als Bar-Jazz ab, immerhin ist sie genauso alt wie ich. BEN WEBSTER, Meister des „Schmuse-Saxophon-Sound“ (ist positiv zu verstehen!) in Begleitung damals noch nicht so renommierter Größen, wie TONY SCOTT, BILLY STRAYHORN (am Piano und als Streicher Arrangeur), LOUIS BELLSON, TEDDY WILSON, um wenigstens ein paar zu nennen, spielt persönliche Favoriten aus dem „Great American Songbook“ und darüber hinaus. Langsam, gefühlvoll, die Töne genießend; sicher, das kann man auch als Muzak diffamieren, aber wer Ohren hat zu hören, merkt sofort, dass er und sie hier nicht zugesäuselt wird, BEN WEBSTER singt auf „Ballads“ mit dem Saxofon. Und wie!
Noch immer kein Gesang. „Vivo“, gleich vorweg, ist nicht die beste CD von TANGHETTO bisher. Aber der Titel sagt es ja schon, „Live“ hat der elektronisch aufgearbeitete Tango einen ganz besonderen Reiz und vor allem eine viel weniger gebremste Dynamik. 14 Titel, rund um die Welt aufgenommen, darunter STING’s „Englishman..) und DEP. MODE’s „Enjoy the Silence“, die in diesen Arrangements einen ganz neuen Pfiff bekommen.
Gesang! Bossa Nova! Schon wieder! PATTY ASCHER heißt die Stimme, selbst geschriebene, von routinierten (D.CAYMMI, R. MENESCAL) Landsleuten / Brasilianern instrumentierte neue Bossa. Sehr elegant, sehr entspannt, sehr gut. Auch wenn kein neues „Girl from Ipanema“ darauf ist, macht die untergehende Sonne die richtige Atmosphäre für diese CD.
KARRIN ALLYSON hat schon einige CDs auf ihrer „erledigt“ Liste. Mangels Öffentlichkeits-Arbeit weiß das aber hier kaum jemand. Vielleicht erinnert ihre Art Jazz zu singen zu sehr an die „große Geste“, die m/F aus Musicals gewohnt ist. Womit kann sie punkten? Die hervorragend zurückhaltend spielende Band ohne „Big Names“? Die äußerst gelungene Song-Auswahl? Ihre sehr individuelle Stimme und Art zu singen? Daraus ergibt sich keine Sensation, aber eine der besser gelungenen Jazz-Sängerinnen CDs der letzen Jahre. Beim Test nicht skippen! Besser irgendeinen Titel wählen und ganz anhören! Diese Musik braucht mehr als 20 Sekunden, um sich im Gefühl zu verankern.
Weil Tod und Verderben ein gern gewähltes Thema für einen Song sind, veröffentlichen die gelegentlichen Quertreiber der Marke CHROME DREAMS in diesen Tagen ihre Doppel CD „MUSIC TO DIE FOR“. Songs vom und um den Tod, gesammelt von 1914 bis 1960. Durch alle Genres und Methoden, alle Klangqualitäten und alle Stil- und Stimm-Lagen. Das soll keine große Kunst demonstrieren, sondern eher das Thema, das uns alle angeht, in mal mehr und mal weniger humorvoller Weise ins Bewusstsein rücken. Und ist dabei kein bisschen depressiv.
Na Dann. Tschüß!
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