Von , 16.03.2016

Stefan Bergmann

Stefan Bergmann

Am Morgen nach der Wahl wacht man auf und muss erst mal die Ereignisse sortieren: Was ist da eigentlich passiert am Sonntag in Deutschland?
1. Die Grünen bekommen eine Mehrheit im Autobauer-Land Baden-Württemberg.
2. Die CDU geht in Rheinland-Pfalz auf Distanz zur Flüchtlings-Politik der Kanzlerin - und verliert trotzdem.
3. In Sachsen-Anhalt holt die rechtsextreme AfD aus dem Stand 23,1 Prozent der Wählerstimmen. In den anderen Bundesländern ist sie zweistellig. Und
4: Die Wahlbeteiligung ist gestiegen. Und da sage mal einer, zur Wahl gehen lohnt sich nicht, weil sich ja doch nichts ändert. Leider brauchte es dafür eine Partei wie die AfD.
Das ist ein bisschen wie damals zur Zeit der Weimarer Republik. Alle wurschtelten rum, nichts funktionierte, und dann kam die NSdAP mit klaren (rassistischen) Ansagen und ihrem Gerede vom Staats-Notstand. Auch damals haben die braunen Rattenfänger Erfolg gehabt, und mir wird Angst und Bange, wenn ich Parallelen zu heute suche - und sie finde.
Aber der Reihe nach: Der Grüne Kretschmann gewinnt in einem Bundesland, in dem Mercedes und Porsche gebaut werden, wahrlich keine Öko-Autos. Es war eine reine Personenwahl. Kretschmann ist grün und wertkonservativ. Von ökologischen Spinnereien hält er nicht viel. Er moralisiert nicht. Er verdammt weder Autofahrer, noch Fleischesser oder Gutverdiener. Von Kretschmann lernen heißt siegen lernen: Liebe Grüne, lasst die Moralkeule im Sack. Schreibt uns nicht vor, was wir essen sollen, wie wir uns fortbewegen sollen, ob wir Jäger und Landwirte toll oder doof finden sollen. Aber setzt Rahmenbedingungen, die ein nachhaltiges Leben ermöglichen und für alle attraktiv machen. Dann funktioniert es von selbst. Und dann hat man die Menschen auch auf seiner Seite.
Der Sieg der AfD indes ist eine Bankrotterklärung für die „etablierten“ Parteien CDU und SPD. Jahrelang schauten sie der schwindenden Wahlbeteiligung zu und sahen die Ursache beim politikverdrossenen Wähler, aber nie bei sich selbst. Ob man bei der letzten Bundestagswahl CDU oder SPD gewählt hat: Es kam das Gleiche dabei heraus. Kein Wunder, dass CSU und AfD Erfolge feiern. Ihre menschenrechtlichen Positionen sind unerträglich. Aber sie zeigen klare Kante, und das gefällt Menschen offenbar. Jetzt reicht es nicht für CDU und SPD, die AfD in der parlamentarischen Arbeit kleinzumachen und hoffen, dass sich das Problem bei den nächsten Wahlen von selbst löst. Auch die Grünen haben seinerzeit die Alt-Parteien mit ihren ökologischen Inhalten vor sich hergetrieben, und ähnlich wird die AfD die Parteien zu klareren Positionen zwingen - und vielleicht dazu, die Berliner Käseglocke zu lüften und dem Volks aufs Maul zu schauen. So richtig es ist, Flüchtlinge aufzunehmen - und zwar ohne Obergrenze -, so wichtig wäre es gewesen, den Staat auf Vordermann zu bringen, damit er die vielen Menschen ordentlich behandeln kann. Doch Behörden versagten reihenweise, die meiste Arbeit wurde auf Ehrenamtliche abgeschoben und mit Durchhalteparolen kommentiert. „Wir schaffen das!“ - warum denn wir, wenn Ihr es nicht mal schafft, einen simplen Asylantrag binnen eines Jahres zu bearbeiten?
Die AfD wird sich in der täglichen Arbeit entzaubern. Denn hinter den rassistischen Parolen stecken keine Lösungen, nur die Forderung: „Ausländer raus!“ Ach so, das wird man doch wohl mal sagen dürfen, oder? Oder ist man dann gleich ein Nazi? Ähem. Vielleicht nicht. Die Partei gibt es ja nicht mehr. Aber man ist dann ein Rassist, ein Menschenverachter, ein kaltherziger Egoist und strohdumm dazu. Das reicht doch auch schon.


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