Von , 06.04.2016

Eine immer noch gewöhnungsbedürftige Koalition

Stefan Bergmann

Eine immer noch gewöhnungsbedürftige Koalition aus schwarz und grün will unweit der Rieselfelder Windräder bauen. Und in Münster brandet eine Diskussion auf, die nur deshalb so heftig ist, weil die Frage nach Windrädern inzwischen ideologisch geführt wird und nach dem St.-Florians-Prinzip.
Schauen wir doch mal auf meine Wahlheimat Ostfriesland. Natürlich gibt es auch dort vereinzelt Widerstände gegen die vielen Windräder. Aber eben auch einen pragmatischen Umgang mit ihnen. An der Küste weht der Wind, und man sollte ihn ernten, wenn man Steinkohle, Braunkohle und Atomkraft nicht will. Die Region übernimmt damit Verantwortung für ganz Deutschland. Doch weiter südlich wird es irrational. Der Strom möge bitte durch die Luft gen Bayern fliegen - aber nicht durch Freilandleitungen vor meinem Haus. Natürlich rühmt sich Münster, „Klimahauptstadt“ zu sein, hat dem Atomstrom entsagt. Doch auf Kohlestrom verzichten - darüber hat man aus dem Stadtrat noch nichts gehört. Da ist der Beschluss, neue Windräder aufzustellen, ein Lichtblick.
Das Windvorrangebiet a4 liegt etwa 1,5 Kilometer von den Rieselfeldern entfernt (und nicht 400 Meter, wie in der Online-Petition behauptet). Für die meisten Vogelarten ist dieser Abstand ausreichend; das sagt das „Helgoländer Papier“ der bundesdeutschen Vogelschutzwarten aus. Natürlich sterben immer wieder Vögel in den Rotoren. Aber noch mehr sterben vom Feinstaub der Kraftwerke oder durch Autos. Die Stadt Emden erzeugt 100 Prozent ihres Stroms für Privathaushalte mit Windrädern auf ihrem eigenen Gebiet. Münster mit seiner riesigen Fläche ist davon unendlich weit entfernt. Aufgestellt werden an der Küste oft modernste Anlagen von Enercon - praktischerweise ein ostfriesisches Unternehmen mit Tausenden von Arbeitsplätzen. Es arbeitet gerade an Windrädern, die herannahende Vogelschwärme erkennen und durch Töne verscheuchen - oder ihre Rotoren abrupt stoppen. Noch ist die Technik nicht marktreif. Aber sie wird es werden. Die jüngsten beiden Windräder in Emden sind Bürgerprojekte: Jeder konnte Anteile kaufen, jeder profitiert vom Ertrag. Natürlich hat auch Arno Tilsner Recht mit seinem Presseausweis: Viele Probleme sind noch nicht gelöst: Wohin mit dem Windstrom, wenn ihn nachts niemand braucht? Und woher ihn nehmen, wenn Flaute ist? Auch in diesen Fragen geht Ostfriesland voran: In einem staatlich geförderten Modellprojekt werden Speichertechnologien entwickelt und gebaut, die intelligente Stromverteilung entwickelt und so die echte Energiewende im kleinen geprobt. Im Umgang mit erneuerbaren Energien hängen die als dröge titulierten Ostfriesen Münster und das Münsterland gnadenlos ab.
Wir müssen weg vom Nein-Sagertum und hin zu Menschen, die Verantwortung übernehmen und Entwicklungen vorantreiben wollen. Natürlich sind Windräder in manchen Gebieten nicht genehmigungsfähig. Aber sie sind nicht des Teufels, es gibt Lösungen. Und wer vorschnell nein sagt, der ist auch nicht besser als die bayrischen Stromkabelverweigerer.


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