Presseausweis
Von , 13.07.2016
Nach dem Brexit-Referendum
kommt der Katzenjammer. Wie wäre die Entscheidung wohl ausgefallen, wenn die Briten vorher gewußt hätten, dass die Wortführer Farange (UKIP) und Johnson einen Tag nach der Abstimmung zentrale Versprechen (mehr Geld für das marode britische Gesundheitswesen) einkassieren und sich anschließend in die Büsche schlagen? Es gehört zu den Nachteilen einer Volksabstimmung, dass man die für das Ergebnis Verantwortlichen nicht abwählen kann.
Das Referendum hat die Briten zu einem tief gespaltenen Volk gemacht. Die Abstimmungskampagnen haben vorhandene Meinungsunterschiede über den Wert der EU für Großbritannien zu einer kaum zu überbrückenden Kluft vertieft und die Menschen entzweit.
Wenn man - zumal als Politiker - skeptisch gegenüber Volksabstimmungen ist, heißt es schnell, man traue dem Volk nichts zu, halte es wohl für dumm - typisch Politiker eben. Die wenigsten setzen sich mit den sachlichen Einwänden gegen Volksabstimmungen auseinander: 1. Lassen sich komplexe Themen wirklich auf simple ja/nein - Fragen reduzieren? Bekanntlich hängt von der richtigen Fragestellung die Qualität einer Problemlösung entscheidend ab. 2. Kompromisse dienen dazu, Gegensätze ein Stück weit miteinander zu versöhnen. Volksabstimmungen kennen keine Kompromisse. 3. Deshalb zeigt leider alle historische Erfahrung, dass Volksabstimmungen emotionalisieren, polarisieren und tendenziell die extremeren Positionen stärken. 4. Entfernen sich die Diskussionen durch die Kampagnen immer mehr von der eigentlichen Fragestellung. Die Opposition wird mit JEDEM Argument dafür werben, der Regierung einen "Denkzettel" zu erteilen, nicht nur mit den Gegenargumenten, die den Entscheidungsgegenstand betreffen.
Als Gegenargument wird immer wieder die direkte Demokratie in der Schweiz angeführt. Was dort funktioniere, müsse doch auch in Deutschland klappen. Direkte Demokratie in der Schweiz heißt aber nicht nur "Volksabstimmung", sondern bedeutet weitreichende Veränderungen für eine repräsentative Demokratie.
Weil Volksabstimmungen missbraucht werden können, um jenseits der konkreten Sachfrage die gewählte Regierung zu schwächen, gehört zur funktionierenden direkten Demokratie in der Schweiz ZWINGEND das Konkordanz-System: eine ALLPARTEIEN-REGIERUNG, die einem Parlament OHNE OPPOSITION gegenübersteht. Nur wenn es im Parlament keine Opposition gibt, weil alle regieren, kann der Effekt vermieden werden, dass Volksabstimmungen die Opposition zu Lasten der gewählten Regierung stärken. Auf Deutschland übertragen hieße das: Von der AfD bis zur Linken sind alle Parteien in der Regierung vertreten. Kann sich jemand vorstellen, dass eine so zusammengesetzte Regierung Deutschland gut regieren kann? Ohne starke Opposition, die wir ja schon zur Zeit einer großen Koalition vermissen?