Von Arno Tilsner, 26.07.2017

"Nicht mit Gewalt, Junge"

Es gibt Sprüche, die einen die ganze Jugend über in der Erziehung begleiten. "Nicht mit Gewalt" war so einer. Hinter ihm stand Kurt, mein Vater, ein Allrounder mit intellektuellem und handwerklichem Geschick, der seinen Erziehungsauftrag so verstand, dass sein Sohn von Erfahrungen, die er schmerzhaft erworben hatte, von Anfang an im Leben profitieren sollte.

Sein Hinweis "nicht mit Gewalt" bezog sich auf den gewaltsamen Umgang mit allen Dingen, die sich meinen Zielen im Kopf nicht sofort fügen wollten. Gewalt gegen Personen war unter Kurts Erziehung ein striktes Tabu. In seinen Augen griffen Menschen vor allem dann zur Gewalt, wenn ihnen nichts besseres einfiel. In diese Ausweglosigkeit sollten sich zivilisierte, kluge Menschen in ihrem Leben - wenn es eben geht - nicht bringen.

Hintergrund seiner Keine-Gewalt-Doktrin war die hautnahe Erfahrung des 2. Weltkriegs, der den Deutschen unmissverständlich vor Augen geführt hatte, wie viel schneller man zerstören als aufbauen kann. Mit dieser Erfahrung stand er in den 1950er Jahren nicht alleine. Andere Väter und Mütter hatten ähnliches erlebt.

Von 1933 an hatte sich die deutsche Gesellschaft durch Mehrheitsentscheid dem von der Nationalsozialistischen Partei (NSDAP) initiierten Gewaltrausch hingegeben, der die völkische Gemeinschaft zu einer tausendjährigen Blüte führen sollte. Nach 12 Jahren hatte der Führer sich eingeäschert. Der übrig gebliebene Rest des Volkes stand nicht im 13. Jahr seiner Blüte sondern bewohnte in chaotischer Unordnung einen Trümmerhaufen. Man musste nicht ahnen, wohin Gewalt führt, man konnte die Folgen sehen und erleben.

In den Jahren des Wiederaufbaus stand deshalb Gewalt nicht hoch im Kurs. Man war sich in einer breiten Mitte der Gesellschaft einig, innere und äußere Konflickte möglichst gewaltfrei zu lösen, um nicht noch einmal die Hölle auf Erden zu initiieren.

'Welcome to Hell' nannten die Initiatoren in Hamburg ihre DEMO, mit der sie vor 14 Tagen gegen die Zusammenkunft der Staats- und Regierungschefs aus 20 Ländern demonstrieren wollten. Sprachlich und mental sind gewaltbereite Gesellschaftskritiker aus der oben genannten Erinnerung herausgewachsen. Hölle auf Erden ist für sie kein Schreckgespenst.

Und der Staat? Ein Hort der Vernunft, der friedliche Demonstranten vor Gewalttätern schützt? Nein, im Gegenteil. Ich habe Bilder von Einsatzkräften gesehen, die wie die Partei einer wüsten Wirtshausschlägerei agierten nach dem Motto: 'Ihr wollt Gewalt? Bekommt Ihr!' Hunderte Handyfilme haben die unverhältnismäßige, willkürliche Staatsgewalt dokumentiert.

Wenn der SPD-Bürgermeister Hamburgs im Verlauf dieser Gewaltorgie in seiner Stadt keine Polizeigewalt gesehen hat, wie er vor laufenden Kameras erklärte, dann möchte ich ihm einen zweiten Klassiker aus Kurts Erziehung mit auf den Weg geben: 'Junge, lass über Antenne gehen'. - Arno Tilsner

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