Von Ruprecht Polenz, 14.02.2018

„Faul“ dürfte uns als erstes in den Sinn kommen, wenn wir von einem Kompromiss hören.

„Faul“ dürfte uns als erstes in den Sinn kommen, wenn wir von einem Kompromiss hören. Fauler Kompromiss. Kompromisse, vor allem in der Politik, standen in Deutschland nie besonders hoch im Kurs. Anders als in den pragmatischer denkenden angelsächsischen Ländern, wo man es für selbstverständlich hält, dass unterschiedliche Ansichten nur so unter einen Hut gebracht werden können.

Die Diskussionen um die quälend lange Regierungsbildung nach den Bundestagswahlen vom 24. September 2017 (!) zeigen, dass Kompromisse wohl noch stärker in Verruf gekommen sind.

Lieber nicht regieren, als schlecht regieren - dieser Satz des FDP-Vorsitzenden Christian Lindner ist zum geflügelten Wort dieser Haltung geworden. „Ganz oder garnicht“ ist aber für politisches Handeln selten ein taugliches Rezept. Meist hilft Münteferings Weisheit eher: Ein Prozent von Hundert ist mehr als Hundert Prozent von Nix.

Die Wählerinnen und Wähler haben am 24.09. entschieden und erwarten zu Recht, dass die politischen Parteien diese Entscheidung respektieren. Das würden die Parteien nicht tun, wenn sie solange wählen ließen, bis ihnen das Ergebnis passt. Am 24.09. haben die Menschen nicht gesagt, wir wählen, damit wir in ein paar Monaten wieder wählen müssen, sondern weil wir eine Regierung brauchen.

Die größte Missachtung des Wählerwillens wäre es deshalb, auf der Basis des Wahlergebnisses keine Regierung zu bilden.

Es ist deshalb falsch, wenn politische Parteien erreichte Kompromisse AUSSCHLIESSLICH durch ihre parteipolitische Brille betrachten und NUR daraufhin abklopfen, ob das eigene Parteiprogramm verwirklicht wird. Besonders grotesk wird es, wenn die Vertreter dieser rein parteipolitischen Sicht behaupten, die eigenen Wähler würden diese Haltung erwarten.

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat Kompromissbereitschaft zu Recht als „parlamentarische Kardinaltugend“ bezeichnet. Die Wählerinnen und Wähler erwarten deshalb von den Parteien zu Recht, dass sie sich zusammenraufen. Sie verstehen besser als mancher Parteifunktionär, dass man dabei Abstriche von den eigenen politischen Vorstellungen machen muss.

Für Neuwahlen sagen alle Meinungsforschungsinstitute voraus, dass es danach keine anderen Möglichkeiten zur Regierungsbildung geben wird als jetzt: Die Union in etwa so stark wie bei den Wahlen im September, die FDP eher schwächer als damals und starke Verluste für die SPD, die wohl deutlich unter 20 Prozent bleiben dürfte.

Zugewinne sagen die Meinungsumfragen vor allem der AfD voraus, die mit dem Hinweis auf die gescheiterte Regierungsbildung punkten dürfte. Die AfD sähe sich in ihrer grundlegenden Systemkritik an unserer Demokratie bestätigt.

„Erst das Land, dann die Partei!“ möchte man deshalb in die Parteigremien von SPD und CDU hineinrufen.

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