Von Claudio Sozzani, 19.09.2018

Humanes Töten - Über den kleinen Unterschied zwischen Krieg und Frieden -

Der letzte Bombenabwurf auf Deutschland erfolgte am 17.4.1945. Er zerstörte die Dresdener Rangierbahnhöfe und damit auch endgültig den dortigen Bahnverkehr. In den Wochen zuvor rissen die Bombardements noch 10.430 Menschen mit in den Tod. Darunter viele Zivilisten, insbesondere Frauen und Kinder, und - beim Angriff auf das Gestapo-Hauptquartier vom 14. bis 16. Februar - auch 40 der letzten in Dresden verbliebenen 198 Juden, die dort inhaftiert waren und dem gezielten Angriff zum Opfer vielen.

Die letzten Abwürfe wären eigentlich nicht mehr nötig gewesen. Denn das Deutsche Reich, das doch tausend Jahre bestehen sollte, lag zu diesem Zeitpunkt - nach nur12 Jahren - in Schutt und Asche und war - mitsamt seiner rassistischen, expansionistischen, menschenverachtenden Ideologie - längst besiegt.

* * *

In Deutschland-West, der sog. ‚entmilitarisierten Zone’, regierten fortan Franzosen, Briten und Amerikaner, die ihren jeweiligen Wirkungsbereich im ‚Vier Mächte-Abkommen’ von Potsdam sauber unter sich aufteilten. In Deutschland-Ost, der sog. ‚SBZ’ (Sowjetische Besatzungs-Zone) herrschten fortan die Sowjets, also die Russen. Die hatten im Krieg mit Hitler-Deutschland gerade 27 Millionen Menschen verloren (das Groß davon Zivilisten), weshalb sie allen Grund dazu hatten, ihre neuen ostdeutschen Partner besonders argwöhnisch zu beäugen.

Die ‚Westmächte’ waren da großzügiger: Schon 1949 gestattete man in der Bundes Republik Deutschland (BRD) freie Wahlen, aus denen der ehemalige Kölner OB Konrad Adenauer - von den Nazis gleich nach ihrer Machtübernahme, 1933, abgesetzt - und seine CDU mit Minimalmehrheit als Sieger hervorgingen. Zehn Jahre später, 1955 durfte sich das – für geläutert befundene – Deutschland(West) sogar wiederbewaffnen. Schließlich brauchte man es im ‚Kampf der Systeme’, dem Ringen mit dem ‚Ostblock’ um die ideologische Vormachtstellung, das bessere Wirtschaftsmodell, eine prosperierende Zukunft. Auch militärisch sollten die Bundesdeutschen da etwas entgegenzusetzen, etwas vorzuweisen haben.

Außerdem hatte man schließlich 1945 noch diese UN ins Leben gerufen, die ,United Nations’. Die waren zwar von Beginn an eher zerstritten als wirklich vereint, verständigten sich aber immerhin auf ein allgemeingültiges ‚Völkerrecht’, das die wichtigsten Punkte im Umgang der Staaten untereinander regelte und etwa Angriffskriege oder den Einsatz von B(iologischen)- und C(hemischen)-Waffen ächtete und – unter Androhung von Sanktionen – verbot. Die USA waren damals einer seiner wichtigsten Betreiber. Die ‚Erzfeinde’ Deutschland und Russland (SU) willigten ein. Die Gefahr eines ‚World War III’ schien bis auf weiteres gebannt.

50 Jahre lang ging das in diesem – inzwischen ‚wiedervereinigten’ – Deutschland gut. Dann - man schrieb das Jahr 1999 - hielt ausgerechnet der ehemalige Turnschuhträger und Steineschmeißer Joschka Fischer (Die Grünen) – unter dem sozialdemokratischen Kanzler ‚Gas-Gerd’ Schröder inzwischen zum Außenminister avanciert – vor seinen Parteifreunden eine flammende Rede, kassierte dafür – äußerlich kaum beeindruckt – viele Pfiffe und einen Farbbeutel und verpflichtete seine Parteigenossen zum ersten offiziellen Kriegseintritt Deutschlands nach dem II. Weltkrieg im Kosovo. Das ging zwar gegen das Völkerrecht – denn das stellte Interventionskriege ohne UN-Mandat unter Sanktionen -, aber egal: Man war schließlich wieder wer. Europäische Ordnungsmacht! Mindestens.

Ein paar Jahre später, 2003, gelang es dem gleichen Tandem immerhin, sich aus dem unseligen, auf gefälschtem Beweismaterial beruhenden ‚Antiterror-Feldzug’ des US-Kriegsherrn Bush im Irak herauszuhalten. Vor allem wohl, weil die deutschen Neopazifisten in dem liberalen französischen Außenminister und Aristokraten Dominique de Villepin einen ebenso eloquenten wie sturen Mitstreiter fanden. Der Irakfeldzug der (Rest)Alliierten und seine Folgen mutierten dennoch zu dem, was die Weltpolitik bis heute beherrscht: ein – nie offiziell erklärter – Dauerkriegszustand (‚War on Terror’), der internationale Gesetze aushebelt, ignoriert, sie den eigenen Machtbedürfnissen, wann immer erforderlich, anpasst. Das ‚Völkerrecht’ verkam zur literarischen Vorlage für Sonntagsreden.

Fortan wurde einmarschiert, wo immer es opportun schien. In Afghanistan („unsere Sicherheit wird am Hindukusch verteidigt“) in Libyen („der Diktator Gaddafi muss weg“), die Russen schließlich in Teilen der Ukraine. Wobei man sich bei letzterem noch streiten kann, ob etwa die ‚Annexion’ der Krim nicht doch eher eine ‚Sezession’ gewesen ist - wie dies etwa der Hamburger Völkerrechtler Reinhard Merkel darlegte - mit anschließenden – mehr oder weniger freien – Wahlen, also: ‚völkerrechtskonform’.

Fortan segnete der Friedensnobelpreisträger Obama einmal wöchentlich die Todesliste für Drohneneinsätze gegen ‚terroristische Einzelziele’ ab, die ihm sein Sicherheitsstab immer montags, zum Wochenbeginn, zur Ratifizierung vorlegte. Und die Umleitstelle der Militärbasis Ramstein - leider ‚unkontrollierbares’, da nicht dem deutschen Staatsgebiet und damit auch nicht dem Grundgesetz und parlamentarischer Einflussnahme zuzurechnendes US-Territorium – sorgt dafür, dass diese ‚unbemannten Flugobjekte’ ihr Ziel auch nicht verfehlen. Selbst eine Hinrichtung ohne richterlichen Beschluss, wie 2011 die des ehemaligen US-Vertragspartners Bin Laden („we came, we saw, he died“), oder ein Auftragsmord, wie das unschöne Pfählen des libyschen Colonels Gaddafi durch rachsüchtige islamistische Söldnerbanden, waren nunmehr opportun. Ab sofort galt: Vergeltung ist Trumpf! Vom ‚Völkerrecht’ wollte niemand mehr etwas wissen.

Und es wurde aufgerüstet, was die Waffenschmieden hergaben. Allein der führende US-Hersteller Raytheon erwirtschafte 2017 einen Umsatz von rund $25 Mrd. (z.Z. herrscht ein ,Auftragsstau’)! Auch die übrigen US-Flugzeug- und Waffenhersteller wie Boeing ($93 Mrd.) und Lockheed ($51 Mrd.) verzeichneten nach der Wahl Donald Trumps 2017 Rekordumsätze (Tendenz und Ausblick: steigend). Selbst der deutsche Marktführer, die Düsseldorfer Rheinmetall, legte in den vergangenen fünf Jahren an der Börse um rund 100% zu.

Die ‚Rat Line’ (Rattenlinie), die der amerikanische Investigativjournalist Seymour Hersh 2014 für die Einfuhr von Kriegsgütern, etwa auch von Giftgas aus libyschen Beständen, über die Türkei nach Syrien ausgemacht hatte, ist längst zu einer mehrspurigen Autobahn geworden. Erst in der vergangenen Woche lieferte Ankara, in einer ca. 5km langen LKW-Kolonne, erneut ‚schweres Gerät’ in die syrische Enklave Idlib für seine dortigen ‚Beobachtungsstände’. Wohl weniger aus Sympathie für die in der Region verschanzten letzten ‚Rebellen’ (unter ihnen geschätzte 16.000 al-Nusra und al-Qaida Kämpfer), sondern allein, um seine wirtschaftlichen und strategischen Interessen (wir erinnern uns: „Sicherheit verteidigen!“) in der Region zu wahren. So, wie alle anderen dort versammelten Kriegsteilnehmer auch.

Giftgas also, das letzte Tabu, die ‚Rote Linie’. Schwer nachvollziehbar, wenn trotz fortwährender Beteuerungen der OPCW - immerhin eine Organisation der UN und 2014 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet- Assads Bestände seien „vollständig zerstört“ worden (übrigens auch unter deutscher Beteiligung, nämlich der Geka im niedersächsischen Munster), nun in immer neuen Videos der ‚völkerrechtswidrige’ Einsatz von Restbeständen beklagt und von westlichen Politikern heraufbeschworen wird. Die werden zwar von den - hauptsächlich von Großbritannien und Deutschland finanzierten – ‚Weißhelmen’ (die Niederlande kündigten letzte Woche alle Vereinbarungen auf) effektsicher in Szene gesetzt, eine Urheberschaft beweisen konnten sie bisher allerdings nicht. Conclusio: Entweder man vertraut Institutionen wie der OPCW, oder: man braucht sie nicht (mehr).

Aber selbst, wenn: Tötet Giftgas etwa weniger ‚human’ als andere Bomben?! Beispielsweise die - vornehmlich von Assads Truppen eingesetzten - Fassbomben, oder das - angeblich präzisere – US-Pendant aus Phosphat. Auch da kommt es immer mal wieder zu ‚Kollateralschäden’, z.B. beim Abwurf auf Wohngebiete. Auch da trifft’s schon mal ein Krankenhaus oder – wie erst kürzlich beim Bombardement eines Marktplatzes im Jemen durch die Saudis – einen Schulbus mit über 50 Kindern und Jugendlichen drin. Ja, selbst die angeblich so unfehlbaren Lenkwaffen der US-Streitkräfte erwischen - selbst bei richtig eingegebenen Koordinaten - schon mal die Falschen.

Unvergessen der Startschuss zum Bombardement von Bagdad bei der ‚Operation Desert Storm’, dem ersten Irakkrieg 1991. Da rauschte die lasergesteuerte, betonsprengende GBU 27 Paveway III-Bombe (Spitzname: ‚The Hammer’, Hersteller: Raytheon) mit 700 km/h in den irakischen Amiriyah-Luftschutzbunker. Der war randvoll mit über 400 Zivilisten, die Mehrzahl davon Alte, Frauen und Kinder. Denn die moderne Zielerfassungstechnik erkennt vieles. Geschlecht und Alter ihrer Opfer erkennt sie nicht.

Krieg sei die „Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“, schwadronierte der preußische General von Clausewitz anfangs des 19. Jahrhunderts. Nein, das ist er nicht. Er ist das sichtbarste Zeichen politischen Versagens. Das offene Eingeständnis eigener Unfähigkeit. Der Offenbarungseid der Politik.

* * *

P.S.: In einem Telegrammentwurf an den britischen ‚Chief of the Air Staff’, Charles Portal, notierte Winston Churchill am 28.3.1945: „Der Moment scheint mir gekommen, wo die Frage der Bombardierung deutscher Städte einfach zum Zwecke der Erhöhung des Terrors, auch wenn wir andere Vorwände nennen, überprüft werden sollte. Sonst werden wir die Kontrolle über ein total verwüstetes Land übernehmen.“

Archivtexte Presseausweis

Claudio Sozzani Claudio Sozzani

Beiträge 2018