Von Stefan Bergmann, 10.10.2018

Was war am 25. September 2018, also vor gut zwei Wochen?

Was war am 25. September 2018, also vor gut zwei Wochen? Die deutsche Bischofskonferenz stellte die Ergebnisse der sogenannten Missbrauchsstudie vor. Es gab einen Tag lang Berichterstattung, einige besorgte Kommentare in den Medien. Dann war wieder Ruhe. Weshalb das so war, darüber kann man nur mutmaßen. Vielleicht war nach den vielen aufgedeckten Missbräuchen in den vergangenen Jahren sowieso jedem klar, dass sich noch viel mehr Priester, Kleriker, Ordensleute und auch Diakone an Kindern vergriffen haben.

Die von der Bischofskonferenz in Auftrag gegebene Studie kam zu dem Schluss, dass von den rund 38.000 Klerikern seit 1946 in Deutschlang 4,4 Prozent des sexuellen Missbrauchs beschuldigt wurden. Das sind - roundabout - unfassbare 1672 Beschuldigte und viel mehr Opfer und viel viel mehr Taten. Die Kirche hat vertuscht, verheimlicht, die Täter vor den Strafverfolgungsbehörden geschützt. Wer heutzutage Parallelgesellschaften beklagt, in denen religiösen Gesetze über die deutsche Verfassung gestellt werden: Dann muss man in einem Atemzug die katholische Kirche mit hinzuzählen. Erst seit 2002 gelten neue Richtlinien, die eine Strafanzeige zwingend vorschreiben. Man kann es kaum glauben.

Die Wissenschaftler hatten keinen Zugriff auf die Original-Akten, sondern diese wurden von Kirchen-Leuten herausgesucht, anonymisiert und dann ausgewertet. Welch ein strategischer Fehler! Eine Kirche, der kaum jemand noch glaubt, macht weiter mit der Heimlichtuerei.

Bevor wir zu den Verhältnissen im Bistum Münster kommen, muss es einmal gefragt werden: Mit welchem moralischen Recht wollen Priester künftig „Ehe-Unterricht“ geben vor der Hochzeit? Mit welchem Recht mischt sich die Kirche in Sexualität und Familie ein, warum behandelt sie wiederverheiratete Geschiedene wie Menschen zweiter Klasse, warum darf sie Menschen kündigen, die gegen das kirchliche Arbeitsrecht verstoßen? Warum wird dies alles so rigide gehandhabt, wenn andererseits Gesetze von einzelnen Menschen und der Kirche als Institution insgesamt gleich tausendfach gebrochen wurden. Eine wiederverheiratete Kindergärtnerin hinterlässt keine Opfer. Welcher Personalverantwortliche wurde fürs Vertuschen und Verheimlichen entlassen? Die pädophilen Priester hinterlassen gebrochene Kinder.

Im Bistum Münster wurden seit 1946 148 Kleriker beschuldigt, es gab 450 Opfer. Auch hier wurde verheimlicht und vertuscht. Manch ein Pfarrer, der in den letzten Jahren plötzlich verschwand - jetzt wird es klarer.

Es ist die gleiche Gott-Vergessenheit wie anderswo. Und doch ist etwas anders.

Das Bistum Münster hat den Wissenschaftlern ihre Geheimarchive geöffnet. Vermutlich ist Münster das einzige Bistum, dass wirklich zu Recht behaupten kann, dass die Studie unabhängig ist. Und es gibt in Norbert Köster einen Generalvikar, der den richtigen Ton trifft, sich entschuldigt, auch eherne Grundsätze seiner Kirche in Frage stellt. Das ist man nicht gewohnt. Die Bischofskonferenz aufzufordern, über die Abschaffung des Zölibats zu sprechen - welcher Kirchenobere hat sich dies bisher getraut? Einen neuen Umgang mit schwulen Priestern zu fordern, dem klerikalen Machtgehabe einzelner Priester abzuschwören - das ist eine neue Linie.

Damit ist nicht alles gut in Münster. Aber es ist wenigstens um Nuancen besser.

Ich habe viel über die Täter geschrieben, nicht über die Opfer. Ein häufiger Vorwurf gegenüber Medien.

Vielleicht, weil ich sprachlos bin, wenn ich an die Kinder und Jugendlichen denke.

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