Von Michael Jung, 14.08.2019

Liebe Leserinnen und Leser, vor zehn Jahren hatte Oberbürgermeisterkandidat Markus Lewe ein Versprechen:

Zwischen den Bahngleisen am alten Stückgutbahnhof solle ein Wohngebiet entstehen („Gartenstadt“). Bei einer Verlegung der Bahntrassen allerdings. 2013 kassierte Lewe, inzwischen OB, dieses Versprechen leise wieder ein. Eine Vorlage erläuterte dem Rat: Alles Quatsch, die Bahn habe nicht vor, Gleise zu verlegen oder Brücken zu verändern. Damit hätte es gut gewesen sein können, wenn nicht verschiedene Architekten im Ruhestand mit viel Zeit sich „Schlaunforum“ nennen würden und dieser Tage privat einen Wettbewerb ausgelobt hätten, wie denn so ein Areal aussehen könnte. Kann man machen, man muss nur wissen, dass es ein Potemkinsches Dorf bleiben wird. Das kann jeder leicht im Netz nachlesen, denn die alte Vorlage aus 2013 ist dort zu finden. Dass es so bleiben wird, hat die Bahn erst neulich noch öffentlich verkündet.

Nun ist der Sommer auch in Münster heiß und das Sommerloch tief. So entschloss sich ein Trüppchen von Aktivisten, aus Protest gegen diesen Wettbewerb mal ein Haus der Bahn zu besetzen. Das tun sie alle paar Jahre, es ist illegal, auch wenn das Ziel bezahlbaren Wohnens vernünftig ist, allerdings war der Anlass, nämlich das Potemkinsche Dorf des Schlaunforums, schlecht gewählt. Die Empörungsmaschine erfasste aber dann die Westfälischen Nachrichten, die nun die abseitige Frage stellten (und zwar an die Kulturinitiative B-Side), ob ein Umbau des besetzten Hauses denn auch staatliche Fördermittel, die von der B-Side gemanagt werden, erhalten könne. Eine etwas unbedarfte Antwort der Initiative reichte dann für eine neue Empörungswelle der CDU („Tollhaus“). Die Grünen, der CDU sonst in Liebe verbunden, lieferten dagegen etwas Solidaritätsprosa für die Besetzer, die von ihrer aktuellen Politik durch Erinnerungen an frühere radikale Zeiten ablenken sollte.

Bei alldem geht etwas anderes ganz unter. Im ersten Halbjahr ist Münster erstmals seit Jahren geschrumpft, um 600 Menschen. Vor allem junge Familien sind weggezogen: Wohnungen sind nicht mehr bezahlbar. Die Mieten sind in Münster seit 2013 um 24 % gestiegen. Gerade im Hansaviertel und am Bahnhof ist der Druck groß; Umwandlungen in Eigentum, Kündigungen, Mieterhöhungen. Dagegen könnte man was tun, wie andere Städte zeigen: Eine Milieuschutzsatzung würde bestehende Mietverhältnisse davor schützen. Andere Städte haben damit gute Erfahrungen gemacht. Natürlich ist das kein Allheilmittel, und es braucht unbedingt auch bezahlbare Neubauwohnungen, aber es kann denen, die von Verdrängung bedroht sind, Schutz gewähren. Wie wäre es, statt über Hausbesetzer zu streiten, endlich eine Milieuschutzsatzung für Mieter in Münsters bedrängten Innenstadtlagen im Rat zu beschließen? Das würde vielen Menschen wirklich helfen. - Michael Jung

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