Von Stefan Bergmann, 17.06.2020

Elf Infektionen sind es in Münster zurzeit.

Ulrich Bertram, Leiter der Friedensschule (hinter der Tüte).

Elf Infektionen sind es in Münster zurzeit. Knapp über 700 waren es ingesamt. 13 Menschen sind gestorben. Das Leben kehrt langsam zurück, auch nach Münster. Doch das öffentliche Leben ist mitunter sehr skurril. Letzte Woche bei der Verabschiedung der Zehntklässler an der Friedensschule, zum Beispiel. Tolle Feier im Freien, Kompliment an die Organisatoren. Sehr würdig. Doch die Redner wurden von Plastiktüten verschluckt, die im Wind um die Mikros flatterten. Einkaufen mit Maske, auf Papier beim Restaurantbesuch Namen und Telefonnummer vermerken (wo bleibt eigentlich der im vorletzten Jahr so dramatisch neugeregelte Datenschutz?), und ab heute nun die Corona-App. Bis zur Entwicklung eines Impfstoffes, mit dem man Ende des Jahres rechnet, dürfte das Leben auch weiterhin - nun - gewöhnungsbedürftig bleiben. Und jetzt sollte man sich fragen: Was haben wir daraus gelernt?


Vielleicht, dass Deutschland (und auch alle anderen Nationen) die seit langem existierenden Pandemiepläne der WHO eventuell mal in nationale Pläne weiterentwickeln hätten sollen? Vielleicht wäre man dann, Mitte März, zu anderen Entscheidungen gekommen. Doch ehrlicherweise muss man konstatieren, dass selbst Virologen damals falsch lagen. Es werde in Deutschland nur einige vereinzelte Corona-Fälle geben, hatte Christian Drosten, Chef-Virologe der Berliner Charité, im März im Spiegel vorhergesagt.
Was man erst einmal verstehen muss: Die Politik und die Wissenschaft hat Deutschland nicht in den diesen rigorose Lockdown geschickt, weil Covid19 so tödlich ist. Sondern weil man Angst hatte, dass das Gesundheitssystem überlastet wird. Die Angst war gerechtfertigt, gerade erst hat ein Covid-Patient die Intensivstation nach einem Monat verlassen. Zu viele dieser Patienten - und wir hätten womöglich italienische, spanische oder französische Zustände gehabt.
Und die Wirtschaft ging den Bach runter. Kneipen stehen vor der Insolvenz, Millionen in Kurzarbeit, Alte und Kranke waren ans Zuhause oder ans Heim gefesselt, Depressive waren akut gefährdet. Das ist die andere Seite der Medaille.
Das alles ist nur zu ertragen, wenn man sicher sein kann, dass Politik und Wissenschaft daraus gelernt hat. Es sieht sogar ein bisschen danach aus, weil ein genereller Lockdown nicht mehr im Raum steht, eher drastische lokale Isolierungsmaßnahmen - siehe Westfleisch, Göttingen oder Leer hier oben in Ostfriesland. Und die Menschen müssen wachsam bleiben. Bei allem negativen der vergangenen Wochen habe ich eins als positiv empfunden: Die Menschen halten respektvollen Abstand. Niemand rückt mir an der Kasse auf die Pelle, in der Fußgängerzone gibt es kein Geschiebe mehr.
Einen zweiten Lockdown kann sich Deutschland nicht leisten. Ob der erste nötig war, so wie es ihn gab, muss man wenigstens hinterfragen (und nein, deswegen ist man nicht gleich ein Verschwörungstheoretiker). Vermutlich war er nötig. Um den Menschen die Ernsthaftigkeit klarzumachen.
Corona hat uns aber auch gezeigt, dass wir für die Globalisierung, den Jet-Set, die Sparorgien in der öffentlichen Gesundheitsversorgung, für das immer-schneller-weiter einen Preis bezahlen. Die nächste Pandemie kommt bestimmt. Wenigstens darin sind sich alle einig.

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