Von Stefan Bergmann, 18.11.2020

Wer hätte das gedacht?

Trotzdem die CDU die meisten Ratskandidaten hat und damit ein natürlicher Partner von SPD oder Grüne wären - beides hat es in der Vergangenheit schon mal gegeben - haben sich jetzt SPD, Grüne und Volt zusammengerauft und wollen eine Koalition im Rat gründen. Sie hätten eine Stimme Mehrheit.

Das ist keine kraftvolle Koalition und es wird sehr von der Disziplin in den drei Gruppierungen abhängen, dass bei wichtigen Anliegen kohärent abgestimmt wird. Nur ein Abweichler - und das war’s. Ob das eine gute Grundlage ist für Riesenprojekte wie Hafencenter, den Musikcampus, autofreie Innenstadt, die millionenschwere Digitalisierung der Schulen, den Wiederanschub der Wirtschaft? Eher nicht. Die Vergangenheit zeigt zwar, dass es geht. CDU und FDP haben auch einmal mit nur einer Stimme Vorsprung durchregiert. Aber elegant ist etwas anderes.

Zumal die SPD sich jetzt als zweitgrößter Partner einer Koalition an ihre neue Rolle wird gewöhnen müssen. Beharrlich hat sie es in den vergangenen Jahren geschafft, ihre Wähler*innen zu vergraulen, so dass die Grünen an ihnen vorbeiziehen konnten. Die SPD hat jetzt die Chance zu zeigen, dass sie auch Realpolitik kann. Ohne Querelen, ohne Angriffe unter diverse Gürtellinien, ohne Geschachere um Personen und Macht. Ein besonderes Augenmerk richtet sich aber wohl auf Volt. Vor ein paar Monaten noch fast unbekannt, sitzen jetzt zwei von Ihnen im Rat und bald wohl auch in der Regierungskoalition. Man kann gespannt sein, ob sich die beiden die Ratsarbeit so vorgestellt haben, wie sie bald auf sie zukommen wird. Tausende Seiten Papier (oder das digitale Äquivalent lesen. In endlosen Auschusssitzungen dahindämmern und sich um Kleinigkeiten streiten. Bei Abstimmungen im Zweifel nicht die eigene Meinung vertreten (die sich ja durchaus vom Rest der Koalition unterscheiden kann), sondern immer schön mit SPD und Grüne stimmen. Andererseits muss man aber auch sagen: Hut ab! vor diesem geplanten Engagement. Es ist ja nicht so, dass Münsters Rat nicht mal ein paar neue Politiker gebrauchen könnte, die ein Thema vielleicht auch mal gegen den Strich bürsten.

Ich hätte da schon mal ein paar Wünsche: Digitalisiert die Schulen, Schüler und Lehrer. Corona zeigt, dass dies schon längst hätte geschehen müssen. Erlaubt fliegendes Gewerbe in der Stadt, gerne versehen mit einer Qualitätsuntergrenze. Münster wird sich mit seiner Rolle als unantastbares Freiluftmuseum nicht in die Zukunft retten können. Verbannt den Busverkehr vom Prinzipalmarkt und Domplatz. Die Corona-Wochenmärkte haben gezeigt, dass es geht. Sucht nach einem sinnvollen, mehrheitsfähigen Konzept für eine autoärmere Innenstadt. Der Proteststurm nach den paar rot bemalten Fahrradstraßen hat einen Vorgeschmack auf die zu erwartenden Fronten gegeben. Und warum es einen Musik-Campus mitten im Wohngebiet an der Hittorfstraße geben soll, anstelle ernsthaft über den Standort Hörsterplatz nachzudenken (einen der letzten Schandflecke in der Innenstadt) habe ich noch nie verstanden. Vielleicht sollten man sich die herausragenden Architekten-Entwürfe noch einmal anschauen. Stefan Bergmann

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