Von Stefan Bergmann, 16.12.2020

Geht Ihnen das auch so?

Sie stehen am 31. Dezember eines jeden Jahres bei Sekt und Böllern auf der Straße und denken sich: „Was für ein Jahr war das?“ Irgendwas ist immer, das habe ich inzwischen gelernt. Und auch Ende diesen Monats werden wir uns - zuhause auf dem Sofa - fragen: „Was eigentlich war das für ein Jahr?“ Man könnte sagen: Einfach in die Tonne kloppen!

Manches lief besser als erwartet, manches schlechter - und manches leider genau wie erwartet. Ich weiß, Sie und Ihr wie ich können das Thema „Corona“ nicht mehr hören. Dieses fiese Virus hat vieles kaputtgemacht, was uns wichtig ist. Nicht zuletzt hat es Tausende Menschen getötet, die ansonsten wohl noch leben würden. Aber trotzdem, hier eine kurze Corona-Bilanz. Nicht vollständig. Nicht neutral.

->Die Pandemie hat das Gute im Menschen befördert, wie auch das schlechte. Unvergessen die Hilfewelle im Frühjahr. Unvergessen aber auch die nöligen Querdenker, denen ihr eigenes kleines Ego wichtiger ist als die Gesundheit von vielen Menschen. Was wir alle lernen müssen: Bloß, weil eine kleine trotzige rotzige Minderhaut laut schreit, muss man sie nicht ernst nehmen. Und schon gar nicht denken, es wäre die Mehrheit. Ist ein bisschen wie mit der AfD. Krakeelt laut rum - und erhascht damit eine Bedeutung, die sie nicht hat.

->Das Schulsystem in Deutschland ist - gelinde gesagt - im Mittelalter verharrt. Im Frühjahr wurde plötzlich klar, dass alle (und ich meine wirklich alle, die mit Schule zu tun haben) die Digitalisierung verpennt haben. Meine Kinder schleppen Kiloweise Bücher und Aktenordner hin und her, Frontalunterricht ist das Maß aller Dinge, und ein WLAN gibt es auch nicht. Eine der stärksten Industrienationen der Welt unterrichtet Ihre Schüler wie in Turkmenistan. Spätestens seit dem Frühjahr war auch klar, dass ein weiterer Lockdown kein Ding der Unmöglichkeit ist. Und dann kommt er, und alle sind überrascht. Ok, die Info sickerte am Freitagnachmittag durch. Da haben öffentliche Verwaltungen Feierabend. Und viele Lehrer auch. Da kann man nichts mehr machen. Doch die Lehrer zum alleinigen Buhmann zu machen, wäre falsch, denn…

->… die Rahmenbedingungen setzen die Politik und die Länder. Und das 16 Mal verschieden. Nichts gegen Föderalismus. Aber wenn der Bund Milliarden von Euro für die Digitalisierung zur Verfügung stellt, und nach Monaten nur wenige Millionen abgerufen werden von den Ländern - dann wird sehr klar, wer da pennt. Und da helfen auch keine Ausreden. Es ist zum Fremdschämen, wenn ich beispielsweise lese, mit welchen technischen Schwierigkeiten das Hittorf-Gymnasiums zu kämpfen hat, um ihre Schüler digital und Distanz unterrichten zu können. Sorry, da werden Schulen, Schüler und Lehrer an der Basis hängengelassen. Es ist, gelinde gesagt, eine Frechheit des Schulministeriums.

->Welchen Eindruck haben Sie, liebe Leser*innen, eigentlich von den Landespolitikern? Jeder macht, was er will, oder? Jeder versucht, sich vor klaren Entscheidungen zu drücken. Nur Söder geht voran. Einen ganzen Sommer passiert nichts, alle sonnten sich in niedriger Inzidenz. Dass irgendwann Urlauber zurückkommen und den Virus einschleppen könnten? Ach ja, Mist, total vergessen. Dass irgendwann die Schulen wieder starten und wir von Kindern erwarten, wovor andere gewarnt werden (stundenlang dicht an dicht im geschlossenen Raum sitzen): Ach ja, ok, dann macht doch einfach die Fenster auf! Man kann von Angela Merkel, Jens Spahn und ja, selbst von daddeligen Horst Seehofer - halten was man will. Aber in dieser Krise haben sie die Länder vor sich hergetrieben. Haben gemahnt und gemahnt - und scheiterten immer wieder an der Hybris der Landesherrlichkeiten. Corona hat leider gezeigt, dass auch Deutschland ein bisschen mehr Zentralismus gut tun würde. Nicht nur im Schulwesen, sondern auch, wenn es um Leben und Tod geht. - Stefan Bergmann

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