Von Stefan Bergmann, 10.03.2021

Die Mutter eines Kindes, die mit einem vorbestraften Pädophilen zusammen ist,

lehnt Hilfe durch das Jugendamt ab. Und das Jugendamt stimmt zu. So sagten es Mitarbeiterinnen des münsterschen Jugendamtes jetzt vor Gericht aus. Doch die Öffentlichkeit durfte das nicht hören. Die Kammer hatte die Zuhörer vorher ausgeschlossen.

Der Ausschluss der Öffentlichkeit bei Prozessen, in denen es um Kinder und Jugendliche als Opfer geht - das ist gang und gäbe und soll die Opfer schonen. Es ist mithin völlig in Ordnung, nein, mehr als das: es ist geboten.

Doch an diesem Tag in Münster wurde auch jemand anderes geschont: Das Jugendamt der Stadt Münster, die Justiz, die Psychologen. Die Rechtfertigung, warum niemand einen Verdacht schöpfte von dem Martyrium, das der zehnjährige Junge womöglich durchmacht, hätte interessiert. Auch deshalb, weil das Jugendamt - aufgrund vieler menschlich-schwieriger Fälle - oft schnell und im Verborgenen arbeiten muss. Doch das bringt es mit sich, dass es eine Art öffentlicher Kontrolle, wie sie bei anderen Ämtern üblich ist, nicht gibt. Fälle können im Nachhinein nicht öffentlich ausgerollt werden. Man kann normalerweise nicht offen sprechen über menschliche Schicksale, über Kinder, die von ihren Eltern geschlagen, gequält, vernachlässigt - oder eben, wie im aktuellen Fall - schwerst missbraucht werden.

Mit 17 Jahren steht der spätere wahrscheinliche Täter zum ersten Mal vor Gericht, weil er Kinderpornos verbreitet hat. Dann noch einmal. Die Strafen: milde. Therapie, zweimal Haft, zweimal Bewährung. Seinerzeit kommt Adrian V. mit einer Frau zusammen, die einen dreijährigen Sohn hat. Alles nachzulesen in einer Chronologie des Horrors, die die Westfälischen Nachrichten zusammengetragen haben.

Ein Pädophiler und ein Kind also.

Dem Sohn sei es augenscheinlich gut gegangen. Das ist die einzige Aussage des Jugendamtes, die vom nicht-öffentlichen Gerichtstag durchgesickert ist. Bereits im Jahr 2015 beschlossen Fachleute, nichts zu unternehmen. Der pädophile Freund wohne ja schließlich nicht mit dem Kind zusammen.

Die Mitarbeiterinnen der Jugendämter sitzen immer in der Falle. Handeln sie zu früh und nehmen ein Kind womöglich unnötig aus der Familie, werden sie angefeindet. Handeln sie zu spät, auch. Es gehört viel Gefühl und Instinkt und Erfahrung dazu, den Ernst der Lage zum richtigen Zeitpunkt zu erkennen. Wie schwer das ist, das hätte man erläutern können.

Es hätte interessiert und die Öffentlichkeit hätte ein Recht darauf gehabt zu erfahren, warum das Jugendamt in diesem Fall so gehandelt hat, wie es gehandelt hat. Es wäre eine der seltenen Gelegenheiten gewesen, sich zu erklären. Die eigene Arbeit, die Zwänge, womöglich auch die rechtlichen Restriktionen. Vielleicht auch darzulegen, wer wann untätig war. Zu hinterfragen, weshalb nach dreifachem Verbreiten von Kinderpornos immer noch nur eine Bewährungsstrafe verhängt wird. Und das alle hätte man schaffen können, ohne den Jungen öffentlich zu brandmarken, ihn zur Schau zu stellen.

Ich will hier nicht populistisch werden. Aber wenn ein 17-jähriger derart straffällig wird - liegt es dann wirklich so fern, dass er irgendwann die Taten von seinen perversen Bildern auch selbst umsetzen wird? Zum echten Täter wird? Hätte man das ahnen können - ja müssen! - als Jugendamt? - Stefan Bergmann

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