Von Stefan Bergmann, 07.04.2021

Liebes Facebook, ich schreibe Dir heute einen Brief.

Um Dir mitzuteilen, dass ich nach Ende der Fastenzeit eine neue Fastenzeit ausrufe, nur für mich. Du musst jetzt ganz stark sein: Es geht ums Facebook-Fasten. Ich habe mein Profil zunächst für sieben Tage deaktiviert, und allein die Tatsache, dass ich eine gewisse Angst davor hatte, zeigt mir, dass sich in unsere anfangs wundervolle Beziehung etwas Böses eingeschlichen hat. Ganz langsam. Wir haben uns auseinandergelebt.

Zu Beginn, irgendwann um 2009 herum, mochten wir uns sehr. Ich konnte meinen kleinen Narzissmus bedienen und Du hast dafür meine paar Daten bekommen. Und Reichweite. Anzeigen gab es wenig, der Algorithmus war gefällig und zeigte mir, was ich sehen wollte. Und außerdem waren alle anderen auch bei Dir. Es fühlte sich gut an. Ich sprach wieder mit Menschen, die ich aus den Augen verloren hatte. Ich zeigte meine Bilder, machte einen auf cool. Doch dann wurde es nach und nach kompliziert. Als ich per Zufall die gut verstecke Seite „Deine Werbepräferenzen“ entdeckt hatte und sie mir zeigte, dass ich angeblich Haustierliebhaber, FDP-CDU-SPD-Grüne-Wähler, ein Freund von Südtiroler Äpfeln und schwarzen Sneakers bin, dass ich angeblich auf Ferrari stehe und auf Kinderspielzeug. Weil ich irgendwann mal alle diese Anzeigen angeklickt habe. Das ist, als wenn die WN, bloß weil ich einmal eine Anzeige von Zumnorde angesehen habe, mir nur noch Anzeigen von Schuhgeschäften exklusiv in mein Exemplar drucken würde.

Nach und nach merkte ich, dass der Algorithmus seinen Rhythmus änderte, und mir nur noch Beiträge von fünf meiner zurzeit 700 „Freunde“ anzeigte. Und dass Du, Facebook, mich bei jedem Besuch auf Deinen blauen Seiten anschreist: „Klick mich! Klick mich! Kommentier mich! Zeig mir alles von Dir!“ Ich habe Dich dann mal gefragt, warum Du das tust. Du sagtest mir: „Ich will, dass Du Dich wohlfühlst, und deswegen zeige ich Dir Beiträge von Menschen, mit denen Du hier bei mir mal hin- und hergeschrieben hast.“ Im realen Leben hieße das: Ich treffe einmal Markus Lewe auf dem Prinzipalmarkt und sage „Hallo!“. Und plötzlich treffe ich ihn immer. Aber nur ihn. Und alle anderen Freunde werden umgeleitet, weg von mir.

Und dann kam die letzte Phase unser einstmals glücklichen Beziehung: Bei der Öffnung der Grenzen für Flüchtlinge 2015 hast Du mir den Hass täglich auf meine Seite gekübelt. Die irren Rassisten, die das Land untergehen sahen, die Biedermann-Brandstifter, die plötzlich ihre kleinen feigen schmutzigen Gedanken posteten weil sie dachten: Denkt ja jeder so. Ich hatte einmal dagegen argumentiert - und dann war ich in Deiner Filterblase gefangen. Und das gleich in Corona-Zeiten. Die tumbe Querdenker-Hatespeech blinkt auf, springt mich an, erregt mich, windet sich durchs Auge in mein Gehirn und löst den Abwehrmechanismus aus, dem ich dann immer wieder erliege: Ich kommentiere dagegen. Dreimal, fünfmal, zehnmal. Um dann zu merken, dass Argumente nicht zählen bei Dir, liebes Facebook. Du adelst die abstoßendsten Menschen und ihre Meinungen mit Deinem Algorithmus und ermunterst Sie sogar noch bei ihren Widerwärtigkeiten. Ja, Meinungsfreiheit. Aber musst Du mir die Irren wirklich ungefragt und permanent in mein Wohnzimmer schicken, wo sie dann stehen und mich anpöbeln?

Facebook, ich faste. Ich werde beobachten, ob ich digital vereinsame. Vermutlich nicht. Neulich habe ich wieder meine Studenten in Journalistik unterrichtet. Meine Standard-Eingangsfrage lautet: „Wer von Ihnen nutzt welche sozialen Netzwerke?“ Bei Facebook ging kein Finger hoch.

Facebook, ich vermute, Du bist bald tot oder nur noch das Sammelbecken der Verrückten und Bekloppten. Alle anderen wenden sich nach und nach von Dir ab. Man kann es jetzt schon sehen an Deinen Nutzerzahlen. Oft sind bei gescheiterten Beziehungen beide Schuld. Hier liegt der Fall anders.

Heute ist Tag 1 von 7. Ich vermisse nichts. Und schon gar nicht die kleinen fiesen Push-Nachrichten, die mich anschreien: „Klick mich!“ - Stefan Bergmann

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