Von Arno Tilsner, 12.05.2021

'Klimaneutral bis 2030' (oder so)

die Parole kommt inzwischen Politikern und anderen Aktivisten über die Lippen, als wäre das WIE geklärt und einzig das WANN stünde noch zur Diskussion. In Wirklichkeit ist die Situation genau anders herum: getrieben von Umweltaktivistinnen aus der Fridays for Future Bewegung wird über das WANN diskutiert. Inzwischen haben sich auch Richter des Bundesverfassungsgerichts hinter diese Bewegung gestellt. Das WIE möge sich finden, wenn die Regierung einen ambitionierteren Zeitplan für den Zieleinlauf erstellt. Nichts leichter als das. Keine vierzehn Tage nach dem Richterspruch zieht die Merkel/Schulz Regierung die Klimaneutralität durch Kabinettsbeschluss für Deutschland um fünf Jahre vor. So einfach geht Politik heute.

Mit der Wirklichkeit außerhalb des Kabinettsaals haben die Entscheidungen wenig zu tun. 2012 hatten wir mit dem Kangoo Z.E. einen der ersten auf dem Markt erhältlichen nicht diesel- oder bezingetriebenen Kleintransporter für die Stadtverteilung der na dann... in Betrieb genommen. 2021 (zehn Jahre später!) ist die Elektrifizierung von Kleintransportern meilenweit vom Massenmarkt entfernt. Nach Aussagen des Branchenverbandes wurden im Corona-Jahr 2020 in Europa knapp 30 Tausend elektrisch betriebene leichte Nutzfahrzeuge zugelassen gegenüber 1,33 Millionen Dieseln.

Bevor Waren in Kleintransportern landen, werden sie in einer sich Tag und Nacht endlos durch den Kontinent windenden LKW-Schlange über Autobahnen und Landstraßen bewegt. Laut Statista türmte sich die Fahrleistung von Lastkraftwagen in Deutschland 2019 auf 67 Milliarden gefahrene Kilometer.

Für einen Tesla-Semi-Truck (von dem es wenigstens Prototypen gibt) wird ein elektrischer Verbrauch von 125 kWh auf 100 km angepeilt, was bei der heutigen Fahrleistung künftig einer zusätzlichen Bereitstellung von netto 83 Gigawatt grünem Strom entspricht. Die in Deutschland über einen Zeitraum von 20 Jahren aufgestellten Solaranlagen produzierten im vergangenen Jahr insgesamt 51 Gigawatt, nur um einmal die Dimension der Aufgabe zu nennen, die die Politik von Aktivisten und Richtern getrieben nun in einem Jahrzehnt durchbrettern soll.

Die Diskussion um Klimaneutralität im Handumdrehen abseits von physikalischen und ökonomischen Gegebenheiten und Lösungen erinnert mich fatal an den von Virologen beherrschten Diskurs in der hoffentlich bald zu Ende gehenden Pandemie. Wenn heute mangels Alternativen Home-Office, Home-Schooling, Geschäftsschließung, Veranstaltungsverbot und Hausarrest Mittel der Stunde sind, können morgen Fahr-, Reise- und andere Verbote in Deutschland so tun, als hielten sie den Klimawandel auf.

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