Von , 06.04.2011

Die Kernschmelze in Japan ist ein Unglück, dessen Folgen heute noch unabsehbar sind. Die Katastrophe liegt nicht in der Vergangenheit, sie findet gegenwärtig statt. Einige 1.000 km davon entfernt haben wir die Möglichkeit, jedes Restrisiko einer Kernschmelze aus unserer Energieversorgung zu verbannen. Dafür sind neue Wege der dezentralen Stromversorgung nötig und möglich.

Gegenwärtig ist die Stromversorgung zentralistisch organisiert. Energieversorgungsunternehmen erzeugen in Großkraftwerken aus Kohle, Gas, Öl, Kernenergie Strom, den sie über lange Leitungen zu ihren Kunden transportieren. Physikalisch fällt bei der Verstromung Wärme an oder besser ab. Man spricht von Abwärme als einer Art Abfall der Stromproduktion.

Ich erinnere mich noch gut an einen Besuch im gerade fertig gestellten Kernkraftwerk Lingen, zu dem ich im Rahmen einer Ausbildung als Katastrophenschützer der Stadt Münster an einem Wochenende in den frühen 70er Jahren abkommandiert war. Dort erfuhren wir u.a., dass gerade mal 33% der eingesetzten Energie im Meiler zu Strom verarbeitet wurden. 67% heizten den Fischen in der Ems das Wasser oder wurden über Kühltürme in die Luft abgeführt. Reichlich naiv habe ich damals nachgefragt, warum man sich denn überhaupt mit so einer gefährlichen Technologie befasst, wenn hinten nur 33% als Strom rauskommt. Da hat mich der Kraftwerksführer lächelnd wissen lassen, dass mehr als 33% Strom auch in konventionellen Kraftwerken nicht raus kommt. Vor allem kommt wegen haarsträubender Transportverluste noch viel weniger als 33% der eingesetzten Energie bei den Endkunden an. "Doll", entfuhr mir als Kommentar, dann wären die Forschungsmilliarden der Atomindustrie besser darin angelegt, den Wirkungsgrad konventioneller Kraftwerke zu erhöhen und den Transportverlust beim Strom zu senken. Von diesen Themen wollte man allerdings beim Besuch im Kernkraftwerk nichts wissen.

Ich fand die aggressive Ignoranz haarsträubend, habe mir aber das Thema Energieversorgung in den folgenden Jahren nicht zum Lebensmittelpunkt gemacht. Erst drei Jahrzehnte später kam mir die technische Möglichkeit über den Weg, das irrsinnige Verhältnis 33% Ertrag bei 67% Abfall vom Kopf auf die Füße zu stellen. Wir bauten der na dann… Produktion ein gasbetriebenes Kleinkraftwerk ein. Das liefert zwar nur während der Heizperiode Strom, denn es läuft nur, wenn im Haus Wärme gebraucht wird. In Münster erstreckt sich dieser Zeitraum allerdings über die Hälfte des Jahres. Als Primär-Energie nutzt es das Gas des normalen Hausanschlusses, mit dem gekocht oder Heizungsthermen betrieben werden. Die Abwärme der Verstromung (2/3) wird in die Heizung eingespeist, der Strom (1/3) fließt ohne lange Leitung direkt zu den Verbrauchern wie Computer, Druckmaschinen etc. oder als Überschuss ins allgemeine Netz.

Gasbetriebene Kleinkraftwerke für den Hausgebrauch gibt es in allen Leistungsklassen. Ihr Einsatz ist keine Zukunftsmusik, es handelt sich um solide, betriebssichere, seit Jahrzehnten verwendete Technik. Mit ihrer Hilfe kann die Grundlast der Stromversorgung, die heute in Deutschland vor allem von Atomkraftwerken bedient wird, im Winterhalbjahr dezentralisiert an den Ort des Stromverbrauches verlegt werden. Im Sommer übernimmt dann ein weiterer, schneller Ausbau der Solarenergie diesen Part. Dass die großen Stromversorger, die als Monopolbetriebe aufgestellt sind und als solche Atomkraftwerke betreiben, sich für eine Dezentralisierung der Strom-Produktion nicht begeistern, kann man verstehen. Um so wichtiger ist es zu wissen, dass die dezentrale Grundversorgung mit Strom bereits heute reibungslos funktioniert. - Arno Tilsner

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