Von , 20.04.2011

Die Energiewende aus einem alltäglichem Blickwinkel betrachtet: Sonntagnachmittag fädelte ich mich - aus der Breiten Gasse kommend - am Albersloher Weg stadtauswärts in den dünnen Verkehr ein und ließ die 58 Pferde des in die Jahre gekommenen rundum leicht verbeulten pinken Daihatsu Cuore mit den als Höchstgeschwindigkeit auf der Umgehungsstraße angezeigten 70 km/h gen Handorf traben.

Tempolimit 70 auf der Umgehungsstraße Münster

Für die moderne Frau am Steuer eines silberfarbenen Multivans aus dem WAF Kreis schienen die 70 auf dem weißen Schild mit rotem Rand die Mindestgeschwindigkeit anzuzeigen. Deshalb ihr ernsthafter Versuch, dem verbeulten Dreizylinder vor ihr mit der Schnauze des bulligen Bullis symbolisch etwas mehr Schwung zu geben. Dabei hatte ich schon mögliche 10% Nachlauf des alten, analogen Tachos bei der Geschwindigkeit dazu gegeben. Mit einem Auge noch im Rückspiegel bei der auf Tuchfühlung drängenden Mitvierzigerin heulte plötzlich links ein Stiernacken in seinem nicht mehr ganz frischen Audi-Kombi vorbei. Der Mann hatte von Multivan hinter Daihatsu vor sich die Nase gestrichen voll und zeigte deshalb seine Interpretation der Audi Werbung “Vorsprung durch Technik“.


Nun ist es so, dass auch 58 Pferdestärken aus 600 ccm mehr als ausreichen, um auf der Umgehungsstraße 100 zu fahren. Allein die dort erlasse-ne Geschwindigkeitsbegrenzung verbietet es und der durchgezogene weiße Mittelstrich vor der lang gezogenen Linkskurve in der Auffahrt zur Brücke über die Warendorfer Straße soll alle, die auf diesem Streckenabschnitt unterwegs sind, vor gefährlichen Überholmanövern schützen. Dem Stiernacken war es egal. Endlich hatte er für einen Moment die freie Fahrt des freien Bürgers, bis die Ampel an der Warendorfer Straße ihm die rote Lampe zeigte. Da standen wir wieder zusammen: Stiernacken mit Vorsprung durch Technik vorn, danach ich im verbeulten Japaner, dahinter die eilige Zeitgenossin im makellosen Multivan.

Wegen einiger Radfaher/Innen musste der kleine Geleitzug ein paar 100 Meter weiter am Pleistermühlen Weg schon wieder anhalten: eine Familie mit Kind hatte hier das Rotlicht gedrückt, um an diesem wunderschönen Frühlingsabend auf Fahrrädern mit tiefer gelegten Einstiegen die viel befahrene Bundesstraße ungefährdet zu überqueren. Stiernackens rasende Fahrt auf der Umgehungsstraße hatte ihn einen höheren Energieverbrauch gekostet aber keinen Raumgewinn gebracht.

Auch das gehört dazu, wenn wir von einer Energiewende reden: wenn für einen beschleunigten Atomausstieg mehr Strom von Gaskraftwerken erzeugt wird, weil Sonne und Wind nicht immer bedarfsgerecht liefern, dann kann die mögliche zusätzliche CO2 Emission durch die überfällige Entschleunigung des Autoverkehrs mehr als ausgeglichen werden. Einen großen Schritt in die Richtung könnten wir als Gesellschaft tun, wenn wir dafür sorgen würden, dass Verkehrsteilnehmer/Innen sich an die vereinbarten Limits halten. - Arno Tilsner

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