Von Stefan Bergmann, 23.11.2022

Das ist so eine typische Münster-Geschichte:

Die mächtigsten Außenminister der Welt treffen sich in Münster. Und was bleibt? Der „Skandal“ um das Ratskreuz, dass das Auswärtige Amt aus dem Ratssaal entfernen ließ. Offiziell aus „organisatorischen Gründen“ (Man fragt sich: Wieso erschwert ein Kreuz die Organisation?). Den wahrscheinlicheren Grund insinuierten die WN: Das grundgesetzlich garantierte Recht auf freie Religionsausübung bedeutet im Umkehrschluss auch, dass der Staat keine Religion favorisiert und somit Menschen anderer Bekenntnisse benachteiligt. Aber trotzdem muss man sich fragen: Hätte das Kreuz irgendjemanden gestört? Vermutlich nicht. Mit dem Feingefühl eines Bulldozers hat das Amt einen Einrichtungsgegenstand eines historischen Ortes entfernt - und sich dafür einen öffentlichen Rüffel seiner Chefin Annalena Baerbock eingehandelt.

An diesem Beispiel kann man aber auch gut nachvollziehen, was der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen meint, wenn er sagt, wir lebten in einer „Empörungsdemokratie“. Das Entfernen des Kreuzes wurde nicht einfach kritisiert. Man empörte sich.

Das katholische Büro NRW sprach von Geschichts-, Kultur- und Traditionsvergessenheit. Die CDU sieht das „Wertefundament“ verletzt. Das christliche Menschenbild sei schließlich die Grundlage aller modernen Demokratien. Und weiter: So habe man unsere kulturelle Identität verleugnet.

Da fragt man sich: Geht es vielleicht auch eine Nummer kleiner?

Die Wiege der Demokratie ist bekanntermaßen Griechenland. Die Wiege unseres Grundgesetzes viel mehr die französische Erklärung der Menschenrechte von 1789 als der christliche Wertekanon, der damals auf Unterdrückung, strenge Hierarchien und Anbandeleien mit den jeweils Mächtigen bestand. In Frankreich wurde 1789 vieles postuliert, was später Grundlage der modernen europäischen Demokratien werden sollte. Die Kirche wetterte damals gegen die dort verbrieften Freiheitsrechte aller Menschen.

Noch immer nicht hält sich die Kirche an das Grundgesetz. Das merken alle, die sich scheiden lassen, aber bei der Kirche arbeiten. Sie können gefeuert werden. Und das, obwohl die Würde des Menschen unantastbar ist. Queere Menschen können sich inzwischen outen, sind aber auf das Wohlwollen der Bischöfe angewiesen, wenn sie im Kirchen-Dienst bleiben wollen. Frauen in der Kirche haben einen leichten Stand, so lange sie sich aufopfern. Aber bitte nicht nach Gleichstellung streben. Über den Umgang mit Missbrauchsfällen in den vergangenen Jahrzehnten muss man kaum reden. Wertefundament? Eher nicht.

Gleichwohl hätte man das Kreuz einfach stehenlassen können. Weil es unklug ist, eine solche Debatte heraufzubeschwören, die wichtigere Themen überdeckt. Und weil das Kreuz für viele Menschen ein wichtiges Symbol ist. Und die anderen vermutlich nicht stört – Stefan Bergmann.

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