Von Ruprecht Polenz, 07.12.2022

Stellen Sie sich vor...

... Sie könnten Ihre Wohnung nicht unbefristet mieten, sondern nur für drei oder sechs Monate. Der Vermieter würde Ihnen sagen: Keine Sorge, wenn sich nichts ändert, verlängere ich den Vertrag immer wieder um weitere drei oder sechs Monate. Wie würden Sie sich fühlen?

Noch unsicherer fühlen sich geduldete Ausländer:innen, deren Antrag auf Asyl abgelehnt wurde, die aber nicht abgeschoben werden können, weil ein Abschiebungshindernis vorliegt. Ihr Aufenthalt ist in Deutschland nur geduldet. Diese Duldungen werden für nur einen, drei oder sechs Monate ausgesprochen. Sie werden verlängert, wenn das Abschiebungshindernis weiter besteht (sog. Kettenduldungen).

Abschiebungshindernisse sind in § 60 Aufenthaltsgesetz geregelt. So darf zB ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist.

Da sich diese Umstände in der Regel nicht von heute auf morgen ändern, kommt es zu Kettenduldungen, die sich über viele Jahre hinziehen können.

Ende vergangenen Jahres lebten 242.029 Geduldete in Deutschland, davon 136.605 seit mehr als fünf Jahren. Ihre Kinder gehen in die Schule. Die Eltern dürfen arbeiten, wenn sie einige bürokratische Hürden überwinden und trotz der Befristung einen Arbeitsplatz finden. Manche Arbeitgeber schrecken allerdings davor zurück, jemanden einzustellen, wenn nicht klar ist, ob das Aufenthaltsrecht in ein paar Monaten wieder verlängert wird oder nicht.

Es ist gut, dass der Bundestag jetzt ein sog. Chancen-Aufenthaltsrecht beschlossen hat, das diesen untragbaren Zustand beendet. Langjährig Geduldete können in Zukunft ein langfristiges Bleiberecht in Deutschland erwerben. Wer zum Stichtag 1. Januar 2022 fünf Jahre in Deutschland gelebt hat, nicht straffällig geworden ist und sich zum Grundgesetz bekennt, soll 18 Monate lang einen Aufenthaltstitel bekommen. In dieser Zeit sollen sich die Betroffenen darum kümmern können, die Voraussetzungen für ein dauerhaftes Bleiberecht zu erfüllen. Dazu gehören Deutschkenntnisse und die Sicherung des Lebensunterhalts. Außerdem muss die Identität geklärt sein.

Die CDU/CSU-Fraktion befürchtet „Fehlanreize“ für Migration nach Deutschland und hat das Gesetz abgelehnt. 20 namhafte CDU-Abgeordnete, darunter Armin Laschet, Norbert Röttgen und Hermann Gröhe sind dieser Ablehnung nicht gefolgt. Besonders gefreut habe ich mich, dass auch mein Nach-Nachfolger Stefan Nacke zu dieser Gruppe gehört, ebenso wie die Steinfurter CDU-Abgeordnete Anja Karliczek.

Unsere Gesellschaft überaltert. Der Fachkräftemangel wird immer größer. Wer für seinen Lebensunterhalt sorgen kann, Deutsch spricht, sich an unsere Regeln hält und sich integriert, wird gebraucht und ist willkommnen. Ruprecht Polenz

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